Berlin (dpa) - Beim Bund Deutscher Radsportler herrscht Skepsis, im Eisschnelllauf-Lager wird Beifall geklatscht: Die Ankündigung der fünfmaligen Olympiasiegerin Claudia Pechsteins zu einem «Seitensprung» zum Bahnradsport trifft nicht überall auf Verständnis.
«Das ist im Moment für uns überhaupt kein Thema. Es gibt ihre Aussage, der BDR nimmt diese zur Kenntnis. Aber jetzt muss sie erst einmal Leistungen nachweisen», sagte BDR-Sportdirektor Burckhard Bremer der Nachrichtenagentur dpa. Und er setzte noch eins drauf: «Ich habe Zweifel daran, dass Claudia Pechstein die technischen Voraussetzungen besitzt, sich in eine Mannschaft einzufügen».
Hintergrund der Äußerungen ist, dass die Einzelverfolgung der Frauen auf der Bahn nicht zum Olympia-Programm gehört und für Claudia Pechstein - wenn überhaupt - wohl nur der Start in der Mannschaftsverfolgung realistisch erscheint. Dort ist dann nicht nur Ausdauer, sondern auch Hinterrad-Fahren und taktisches Verhalten erforderlich.
Grundsätzlich begrüßt wird der Ausflug Pechsteins im Eisschnelllauf-Lager. «Ich kann diesen 'Tapetenwechsel im Kopf' nur gutheißen», meinte DESG-Sportdirektor Günter Schumacher. «Ihr Anspruch ist so hoch, dass sie selbst realistisch entscheidet, ob so etwas für sie Sinn macht. Ich wünsche ihr dabei viel Erfolg», sagte DESG-Präsident Gerd Heinze, und vergaß auch nicht den Hinweis: «Der Eisschnelllauf bleibt ihre Kernsportart.»
Auch aus trainingsmethodischer Sicht gibt es keine Einwände. «Andere haben es vorgemacht, dass die beiden Sportarten gut zueinander passen. Ich finde es eine gute Sache und bin sicher, dass Claudia die konditionellen Voraussetzungen mitbringt. Für sie selbst wird eine neue Motivation freigesetzt. Ich finde es spannend, dass sie es probiert», sagte Teamchef Helge Jasch.
Pechstein, die aus dem Höhentraining in Livigno in die Hauptstadt zurückkehrte, um sich auf die deutschen Bahnrad-Meisterschaften in Berlin (6.-10. Juli) vorzubereiten, hatte zuvor angekündigt, neben der nichtolympischen Einzelverfolgung auch im Sprint und im 500-Meter-Zeitfahren starten zu wollen. «Es geht ihr dabei darum, ihre Wettkampfhärte zu testen. Wenn sie spürt, dass die anderen Lichtjahre voraus sind, wird sie es sein lassen», meinte ihr Manager Ralf Grengel. Zuvor hatte Sprint-Bundestrainer Detlef Uibel Pechsteins Vorhaben als «aussichtsloses Unterfangen» bezeichnet, da ihr für den Sprint jegliche Grundlagen fehlen.
Erst seit acht Wochen trainiert Pechstein intensiv für ihre neue Radsport-Liebe. Die Berliner Trainer Werner Otto hat sie in dieser Zeit von ihren Qualitäten schon überzeugt. «Was mich begeistert, ist Claudias Kampfgeist und ihre gute Auffassungsgabe», sagte der frühere Tandem-Weltmeister, der ihr am Mittwoch ein nagelneues Carbon-Rad für den Wettkampf-Auftritt zur Verfügung stellte. Aber Werner Otto warnt auch: «Wir sollten die Türme nicht zu hoch bauen. Platz fünf bis zehn bei der Meisterschaft wäre ein tolles Ergebnis».
Voraussetzung für einen Olympia-Start wäre für die zwei Jahre wegen überhöhter Blutwerte gesperrte Pechstein der Fall der sogenannte «Osaka-Regel» des Internationalen Olympische Komitees (IOC), wonach Athleten nach Ablauf einer mindestens sechsmonatigen Dopingsperre der Start bei den folgenden Sommer- und Winterspielen. verwehrt wird. «Diese IOC-Regel steht derzeit auf dem Prüfstand. Es gibt immer wieder neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft. Ich sehe das nicht als starres System», meinte DESG-Sportdirektor Günter Schumacher vor der im August erwarteten Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofes CAS zur «Osaka-Regel».