Bagnère-de-Luchon (dpa) - Respektvolle Kollegen oder gar Freunde war gestern: In Bagnère-de-Luchon bot Alberto Contador seinem Rivalen Andy Schleck den Handschlag an, im Ziel, als der Vorjahressieger dem Luxemburger gerade das Gelbe Trikot entrissen hatte. Schleck lehnte ab.
«Ich habe Alberto gefragt: "Wie konntest du nur so etwas tun?"», meinte der Unterlegene später, noch immer aufgebracht von dem, was auf der vorangegangenen Etappe hinauf zum Port de Balès passiert ist. «Ich habe dieses Trikot nicht gestohlen!», konterte der Spanier. Im lange so zurückhaltend geführten Duell an der Tour-Spitze ist pünktlich vor dem Showdown Pfeffer drin - Fairplay hin oder her.
«Contador ohne Gnade», titelte die französische Sportzeitung «L'Equipe» über dem Foto des schelmisch grinsenden Contador. Als Schleck am Vortag von einem Defekt aufgehalten worden war, attackierte der Spanier und fuhr ins Gelbe Trikot. Schleck, der seinem Widersacher mit der Wut im Bauch nachgehetzt war, die Führung im Gesamtklassement aber nicht retten konnte, war in Rage.
Das Manöver Contadors ist Gesprächsthema Nummer eins im Tour-Tross. «Man erntet, was man säht», meint Columbia-Sportdirektor Rolf Aldag in Anspielung auf die bedingungslose Tempo-Arbeit von Schlecks Team Saxo-Bank vor Arenberg - als Contador wegen eines Defekts aufgehalten wurde. Der ehemalige Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer sieht das ähnlich: «Jetzt steht es 1:1.»
War die Aktion nun fair oder nicht? «Schwer zu sagen», räumte Lance Armstrong ein, «wir hatten auf dieser Tour schon so manche eigenartige Tage». Der Rekordchampion kam selbst 2003 beim Duell mit Jan Ullrich auf einer schweren Pyrenäen-Etappe zu Sturz, konnte danach aber wieder zum Deutschen aufschließen, weil dieser wartete.
Hätte auch Contador rausnehmen und auf Schleck warten sollen? Rolf Aldag ist sich da - wie der Großteil im Fahrer- und Betreuerfeld - nicht so sicher, schließlich sei Schleck selbst schuld an seinem Malheur. «Er hat offensichtlich einen Fehler beim Schalten gemacht», sagte der frühere Ullrich-Helfer. Sauer könne der Luxemburger deshalb höchstens auf sich selbst oder auf seine Mechaniker sein.
Dass eine Fairplay-Diskussion im Radsport, der nur allzu häufig von Meldungen über Doping oder angeblichen Motoren in den Renn- Maschinen aufgeschreckt wird, ohnehin deplatziert sei, glaubt Aldag nicht. «Das eine ist das geschriebene, das andere das ungeschriebene Gesetz.» Außerdem wehrte er sich davor, den Radsport wieder einmal ins schlechte Licht zu rücken. «Bei jedem Fußballspiel siehst du 15 Schwalben, da sagt keiner was», sagte Aldag der Nachrichtenagentur dpa.
Lance Armstrong, dem die amerikanischen Doping-Ermittler derzeit wohl auch keinen Fairplay-Preis verleihen würden, wollte den Vorfall vom Port de Balès ebenfalls nicht allzu hoch hängen. Entscheidend für den Ausgang der Tour sei der Angriff nicht, glaubt der Texaner. «Auch wenn Alberto eine halbe Minute hinten geblieben wäre, könnte er immer noch die Tour gewinnen», sagte der siebenmalige Champion.