London (dpa) - Der süße Medaillenrausch ist nur von kurzer Dauer, der graue Alltag wartet.
«Ab September setzte ich meine Ausbildung fort und hoffe, im Januar meine Prüfung zur Polizeikommissarin zu bestehen», sagte Olympiasiegerin Miriam Welte, die durch ihren Coup im Teamsprint zusammen mit Kristina Vogel soviel Schulterklopfer auf den Plan gerufen hatte wie noch nie in ihrem Leben. Bronzemedaillengewinner Maximilian Levy brachte die Situation im deutschen Bahnradsport auf den Punkt: «Heute wirst du bejubelt, übermorgen kennt dich keiner mehr.»
Ganz anders in Großbritannien: Der nunmehr fünfmalige Olympiasieger Sir Chris Hoy ist eine Institution und Werbe-Ikone. Zum Auftakt der Bahn-Wettbewerbe jubelten im Velodrom die Prinzen Harry und William - mit seiner Gattin Kate - sowie Premierminister David Cameron in Fußball-Fan-Manier. Zu Klängen von David Bowies «Heroes» verwandelten sie die Arena in eine Disco mit royalem Touch. Am Vortag hatte der erste britische Tour-Sieger Bradley Wiggins nach Gold im Zeitfahren via Twitter «sturzbetrunken» aus einem Nobelhotel alle seine Fans gegrüßt. Werbefachleute errechneten sein zu erzielendes Einkommen in den nächsten drei Jahren auf etwa 20 Millionen Pfund. Die Ernennung zum Sir steht bevor.
«Bei uns sieht's schlecht aus mit Sponsoren. Ich betreibe den Sport nicht, um Geld zu verdienen, sondern weil es mir unbändigen Spaß macht», sagte die angehende Kommissarin Welte. Ganz anders als Wiggins, der in leichtem Understatement von «ein paar Gin-Tonic» berichtete, feierte sie ganz bescheiden. «Vielleicht ein, zwei Bier, dann geht's wieder ins olympische Dorf. Ich habe Kristina versprochen, ihr bei den bevorstehenden Rennen noch zu helfen», sagte Miriam Welte am Donnerstagabend im Deutschen Haus.
Sie gab ein Interview nach dem anderen, strahlte mit ihrer Goldmedaille um den Hals um die Wette und war am Ende der Gratulationscour noch so charmant wie zu deren Beginn. Welte hatte mit ihrer Partnerin Kristina Vogel, die noch im Keirin und Sprint auf Medaillenjagd gehen will, an diesem verrückten Abend im Velodrom «alles richtig gemacht».
Die Teamsprinterinnen hatten ihren überraschenden Erfolg vor allem - korrekten - Juryentscheidungen zu verdanken. Die Schiedsrichter hatten die Britinnen wegen eines Wechselfehlers disqualifiziert und die Chinesinnen wegen Befahrens der blauen Markierung auf Rang zwei zurückversetzt. Das bedeutete Gold für Deutschland, obwohl die Teamsprinterinnen nur die drittbeste Zeit gefahren waren.
Auch ohne dicke Sponsorenverträge oder in Aussicht gestellte Orden an ihrer Brust bilanzierte Miriam Welte, die sich vor drei Monaten mit Kristina Vogel den WM-Titel geholt hatte, ganz nüchtern: «Mein 2012 - besser geht's nicht.»