Berlin (dpa) - Der Kursaal von Bad Neuenahr wird nicht wie vor fünf Jahren aus allen Nähten platzen. Rudi Altig kehrt an seinem Ehrentag dem Trubel den Rücken und zu seinen Wurzeln zurück.
Der erste Star des deutschen Radsports feiert seinen 75. Geburtstag am 18. März mit alten Rennfahrer-Kumpels nach dem Frühjahrs-Klassiker Mailand-San Remo an der Riviera.
«Zuerst zum Start nach Mailand, dann mit dem Auto zum Ziel, dann über die Côte d'Azur zurück - den 80. feiere ich dann wieder groß», meinte ein zufriedener Jubilar im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa.
Altigs großer Rückhalt ist sein intaktes Familienleben. «Mehr als drei Tage lässt mich meine Frau nicht weg», sagte der rüstige Rentner vor seiner Geburtstagssause, bei der er sich vor allem auf ein Wiedersehen mit Lucien Aimar, dem französischen Tour-de-France-Sieger von 1966 freut.
«Alles prima, bestens, komme gerade von einer Untersuchung in Freiburg», erzählte der Ex-Sprinter, der in den 90er Jahren eine Magenkrebsoperation überstand, wenige Tage vor seinem Geburtstag. «Wer es nicht weiß, merkt es gar nicht, dass ich da ein bisschen eingeschränkt bin und manchmal nur kleine Portionen essen kann», sagte Altig, der regelmäßig Golf spielt, ab und an noch auf dem Fahrrad sitzt und am Abend seinen «Roten» trinkt.
Seit 1966 wartet Altig darauf, dass ein deutscher Radprofi in seine Fußstapfen als Straßen-Weltmeister tritt. Mit 18 Tagen im Gelben Trikot bei der Tour de France hält er noch immer den einheimischen Rekord vor Jan Ullrich und beherrscht als Yoga-Übung zur Wirbelsäulen-Entlastung auch noch immer den Kopfstand: «30 Minuten kein Problem - aber nicht mehr so oft.»
Der Sportler des Jahres 1966 ist vielleicht auch deshalb immer noch so populär, weil der aus einfachen Verhältnissen stammende Mannheimer sein Herz auf der Zunge trägt. Allerdings sorgte seine geringe Diplomatie-Begabung immer mal wieder für heftigen Gegenwind. Ausgerechnet im Jahr des bis dato größten Tour-Skandal 1998 sprach er sich in der ARD für eine Doping-Freigabe aus. Das - und seine damals nicht so gern gehörte Kritik am Telekom-Rennstall - kostete ihn den Job als TV-Experte. Bei der Straßen-WM 2007 in Stuttgart galt das deutsche Radsport-Idol den Offiziellen um Bürgermeisterin Susanne Eisenmann gar als unerwünschte Person.
Die Erwähnung seines Spitznamens aus aktiven Zeiten - «Radelnde Apotheke» - ringt ihm ein müdes Lächeln ab. Der direkte Bezug zum immer aktuellen Thema Doping bringt ihn aber auf die Palme. «Ich kann den ganzen Scheiß nicht mehr hören!», erregte sich Altig, der 1969 bei der Tour des Dopings überführt worden war und sich 1966 beim belgischen Klassiker Flèche Wallonne einer Kontrolle entzogen hatte.
«Ich weiß, was ich gemacht habe. Mit Doping hatte das nichts zu tun. Wir haben gut trainiert, viel geschlafen und gut gegessen, und wenn wir Kopfweh hatten, gab's vom Arzt eine Tablette. Das machten doch alle so. Doping ist, wenn man Blut panscht. Außerdem betrifft das den gesamten Sport und nicht immer nur die Radfahrer», schimpfte der Ex-Sprinter.
Zum Ende des Jahres wird er wohl wieder als Fachmann im Fernsehen auftreten. Bei «arte» soll ein mehrteiliger Beitrag über einen Radwanderweg, der von den Shetland-Inseln über Belgien und die Niederlande nach Norddeutschland führt, gesendet werden. «Den soll ich zusammen mit Jeannie Longo abfahren, da sind wir 20 Tage unterwegs», erzählte Altig, der bis zu seinem Rücktritt 1971 acht Tour-Etappen, 23 Sechstagerennen und 1962 als einzige große Rundfahrt die Vuelta in Spanien gewann. 1968 war er auch in San Remo nicht zu schlagen.