Gelsenkirchen (dpa) - Das Ruhrgebiet hat Rudolf Scharping noch bestens in Erinnerung. Vor 20 Jahren gewann er in Essen die Kampfabstimmung um den SPD-Parteivorsitz, der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte damals unter anderem das Nachsehen.
Wenige Kilometer weiter kommt es am Samstag im Gelsenkirchener Maritim-Hotel für Scharping wieder zu einer richtungweisenden Wahl, diesmal auf sportpolitischer Ebene. Es geht für den Politprofi um eine mögliche dritte Amtszeit als Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR).
Dabei muss er sich auf der Bundeshauptversammlung gegen seine Vorgängerin und forsche Anti-Doping-Kämpferin Sylvia Schenk behaupten. Durch die kurzfristige Kandidatur des zweimaligen Olympiasiegers Robert Bartko für den Posten des Vizepräsidenten ist zusätzliche Brisanz entstanden.
Und so herrschte bei Scharping, der zunächst seinen Rückzug vom BDR angekündigt und dann widerrufen hatte, in den vergangenen Wochen rege Betriebsamkeit. Der 65-jährige Pfälzer besuchte plötzlich Landesverbände, wo sonst sein enger Terminplan - Scharping ist als Unternehmensberater mit Büros in Frankfurt, Dubai und Shanghai tätig - des Öfteren nicht einmal Besuche bei Weltmeisterschaften zulässt.
«Der Präsident hat gesendet, gesendet, gesendet. Aber ich habe den Eindruck, dass er relativ selten auf Empfang stellt», sagte Montreal-Olympiasieger Hans Lutz der Nachrichtenagentur dpa. Der Präsident des württembergischen Landesverbandes unterstützt Herausforderin Schenk, weil er sich von Scharping «nicht verstanden und gehört» fühlt.
Scharping indes sieht seine bisherige Präsidentschaft als Erfolgsgeschichte. 2012 sei das wirtschaftlich erfolgreichste Jahr in der Geschichte des BDR, eine schwarze Null werde er den Delegierten präsentieren. Sportlich sei der deutsche Radsport in der Weltspitze wieder bestens vertreten und auch im Anti-Doping-Kampf hätten er und sein Präsidium sich als Vorkämpfer hervorgetan. Das sei aber nur nicht so gut kommuniziert worden.
Alle Irritationen also nur eine Kommunikationspanne? Schenk kann neue Wege jedenfalls nicht erkennen. Eine klare Linie müsse im Anti-Doping-Kampf endlich her, alle Sparten des Radsports würden sonst in den Sog mit runtergezogen. «Es geht letzten Endes gar nicht darum, wer gewählt wird, sondern darum, den Radsport voranzubringen», sagte Schenk der dpa. Ihre Tätigkeit im Vorstand von Transparency International lässt sie im Moment ruhen.
So dürfte es spannend werden, wenn es am Samstag zu Tagesordnungspunkt 9.1 kommt. 610 Stimmen der Delegierten aus den 17 Landesverbänden entscheiden über den zukünftigen Präsidenten. «Es geht nun um die 20, 25 Prozent der Unentschlossenen», rechnet Lutz vor. Aus seinem Verband dürften 74 Stimmen an Schenk gehen, ebenso die 101 aus Nordrhein-Westfalen, aus dessen Verband Scharping-Kritiker Toni Kirsch für den Posten des Vizepräsidenten kandidiert. Thüringen hat sich indes für Scharping ausgesprochen. Bei einigen Landesvertretern ist im Falle einer Wahl von Schenk die Sorge vor ungemütlichen Zeiten sicher groß.
In vielen Sitzungen und Gesprächen am Freitag dürften die Lager abgesteckt werden. «Der Smalltalk in der Kaffeepause ist oft weichenstellend», sagt Lutz. Losgelöst von dem Duell Scharping-Schenk kandidiert Bartko für den Posten des Vizepräsidenten Leistungssport. «Es ist nicht mein Interesse, mich an irgendeine Personalie zu heften. Ich will auch nicht die Wahlkampfspielchen mitmachen. Mir geht es um die Sache. Ich verlasse mich darauf, dass die Delegierten schlau genug sind und im Sinne des Radsports entscheiden», sagt der Potsdamer. Am Samstag ist er schlauer.