Izu (rad-net) - Die Österreicherin Anna Kiesenhofer hat bei den Olympischen Spielen im Straßenrennen der Frauen für eine faustdicke Überraschung gesorgt. Sie siegte nach einem langen Tag in einer Ausreißergruppe als Solistin vor Annemiek van Vleuten (Niederlande) und Elisa Longo Borghini (Italien). Die deutsche Meisterin Lisa Brennauer wurde Sechste.
Direkt mit dem scharfen Start wurde aus dem Feld attackiert - mit dabei war bereits Kiesenhofer. Die 30-Jährige hatte gemeinsam mit Carla Oberholzer (Südafrika), Vera Looser (Namibia), Omer Shapira (Israel) und Anna Plichta (Polen) angegriffen. Das Quintett war sich einig, arbeitete gut zusammen und holte immer mehr Vorsprung heraus. Nach rund 40 Kilometern konnte Looser das Tempo jedoch nicht mehr mitgehen und kurz darauf musste auch Oberholzer reißen lassen. Das an der Spitze übrig gebliebene Trio vergrößerte seinen Vorsprung jedoch weiter und 80 Kilometer vor dem Ziel lag der Abstand zum Peloton bei fast elf Minuten.
Im Peloton hatte man sich offenbar verspekuliert. Zwar übernahmen die Deutschen dort viel Führungsarbeit, aber Unterstützung von anderen Nationen erhielten sie so gut wie keine. Dadurch schrumpfte der Rückstand auch nur langsam. 60 Kilometer vor dem Ziel betrug die Lücke immer noch 8:30 Minuten. «Es war ein kleiner Fehler von uns, dass wir niemanden in der frühen Spitzengruppe hatten. Wir haben im Rennen viel Verantwortung übernommen. Ich denke, das war richtig, auch wenn es eigentlich nicht unser Job war. Leider haben andere Nationen das nicht gemacht. Wir haben uns echt ins Zeug gelegt, das Loch zur Spitzengruppe kleiner zu machen», sagte Brennauer nach dem Rennen.
Kurz darauf attackierte Van Vleuten und setzte dem Ausreißertrio alleine nach. Zwar machte sie zunächst einiges an Boden gut und kam auf bis zu fünf Minuten an die Spitzengruppe heran, doch dann stagnierte sie und hing eine Weile mit demselben Abstand zwischen Spitze und Feld. 25 Kilometer vor dem Ziel wurde die Niederländerin, die als eine der Topfavoritinnen gestartet war, eingeholt.
Derweil fiel die Spitzengruppe 40 Kilometer vor dem Ziel auseinander. An einer Steigung konnten Shapira und Plichta Kiesenhofer nicht mehr folgen. Die beiden ehemaligen Mitstreiterin der Österreicherin, die als Mathematikerin an der Eidgenössische Technische Hochschule in Lausanne (Schweiz) arbeitet, wurden dann rund fünf Kilometer vor dem Ziel eingeholt, obwohl eine richtig konsequente Nachführarbeit nicht organisiert worden war.
Während Kiesenhofer nach 137 Kilometern einem ungefährdeten Sieg entgegenfuhr und damit die erste Olympiamedaille im Radsport für Österreich seit 1896 holte, war das Rennen um die weiteren Medaillen wieder eröffnet. Zunächst griff Katarzyna Niewiadoma (Polen) gemeinsam mit Cecilie Uttrup Ludwig (Dänemark) an, aber wurde zurückgeholt. Danach versuchte es Van Vleuten ohne Erfolg, genauso wie ihre Landsfrau Anna van der Breggen. Drei Kilometer vor dem Ziel konnte sich Van Vleuten dann entscheidend absetzen und fuhr 1:15 Minuten hinter Anna Kiesenhofer zur Silbermedaille, gefolgt von Elisa Longo Borghini (Italien), die den dritten Platz belegte.
Van Vleuten fuhr jubelnd über die Ziellinie, da sie offenbar glaubte, dass alle Ausreißerinnen eingeholt waren und das Rennen gewonnen zu haben. Das wurde auch kurze Zeit später bestätigt. «Als Plichta und Shapira eingeholt worden waren, dachte ich, wir fahren um Gold», erklärte Van der Breggen nach dem Rennen. Und Van Vleuten sagte: «Ich wusste es nicht. Ich habe mich geirrt.» Sie konnte sich dann aber doch über Silber freuen: «Es ist eine Medaille, und eine Olympiamedaille fehlte mir noch in meiner Sammlung.»
Im Spurt der Verfolgerinnen sicherte sich Brennauer den sechsten Platz, ganz zufrieden war sie mit dem Ergebnis aber nicht. «Auf dem Papier ist das ein tolles Ergebnis, aber wenn man so nah an den Medaillen ist, nach so einem Rennen, das so komisch lief, das ist dann schade. Aber das ist Olympia, und heute gab es eine Überraschungssiegerin. Ich nehme für mich mit, dass ich gute Beine habe, bin hoch motiviert für die anderen Rennen, die noch vor mir liegen. Auch mit der Hitze bin ich heute gut klargekommen», so die 33-Jährige.
Bundestrainer André Korff bilanzierte: «Die Mädels haben sich gut geschlagen, alle haben ihre Aufgaben gut erfüllt. Trixi Worrack hat am Anfang Tempo gemacht, Liliane am Ende Lisa sehr gut unterstützt. Wir haben im Finale ein bisschen spekuliert, gehofft, dass sie die beiden Verfolgerinnen erst auf der Zielgeraden einholen, dann hätte Lisa eine Chance auf eine Medaille gehabt. Der sechste Platz von ihr ist ein super Ergebnis. Man hat ihre Stärke im Rennen gesehen. Das lässt hoffen für die nächsten Wettbewerbe, die noch vor ihr liegen. Kompliment an die Österreicherin, die mit ihrem Start-und-Ziel-Sieg alle überrascht hat.»
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