Berlin (dpa) - Lange Jahre stand Lance Armstrong viel bewundert auf einem Radsport-Denkmal. Nach der Aberkennung seiner sieben Siege bei der Tour de France von 1999 bis 2005 sollen Leerstellen in den Annalen jetzt als eine Art Mahnmal dienen.
So wollen es die Verantwortlichen der Tour, die bei der 100. Jubiläumsausgabe im kommenden Jahr nach den großen Dopingskandalen 1998, 2006 und jetzt Armstrong mal wieder von einem hoffnungsvollen Neuanfang träumen. Der von Kritikern immer schärfer angeschossene Weltverband unter seinem umstritten Präsidenten Pat McQuaid muss darüber auf einer außerordentlichen Versammlung am Freitag in Aigle am Genfer See entscheiden.
Dabei wird sich McQuaid wieder unangenehme Fragen gefallen lassen müssen. Mit deutlichen Worten hat ihn der dreimalige Tour-Sieger Greg LeMond zum Rücktritt aufgefordert und ihn als «Inbegriff der Korruption» bezeichnet. «Ich möchte die Radsport-Welt bitten, helft mir, Pat McQuaid zu sagen, verpiss Dich und trete zurück. Ich habe noch nie solch einen Missbrauch von Macht erlebt», schrieb der 51 Jahre alte Amerikaner in einem offenen Brief, den er auf seiner persönlichen Facebook-Seite veröffentlichte. McQuaid und sein Vorgänger Hein Verbruggen, seien das Problem des krisengeschüttelten Sports. «Du Pat und Dein Kumpel Hein habt den Sport zerstört.»
Die UCI steht mit dem Rücken zur Wand und hat kaum eine andere Möglichkeit, als die Siegerlisten leer zu lassen und - wie von Tour-Chef Christian Prudhomme gewünscht - die Armstrong-Zeit zur «Schwarzen Ära» zu erklären. In Abwägung der Peinlichkeiten sind McQuaid und Co. die Hände gebunden. Geeignete Aufrücker für die frei gewordenen Toursiege zu finden, ist ohnehin äußerst schwierig. Die «L'Équipe» hatte die Radprofis ermittelt, die den Sprung auf Platz eins als Dopingunverdächtige verdient hätten. In den Jahren 2000 (Fernando Escartin) und 2005 (Cadel Evans) wurde das Blatt jeweils erst auf Rang acht des Tour-Abschluss-Klassements fündig.
Die deutschen Kandidaten Jan Ullrich (Zweiter 2000, 2001 und 2003) und Armstrong-Teamkollege Andreas Klöden (2004) fallen aus, abgesehen davon, dass sie auf ein Aufrücken kaum Wert legen. Ullrich ist wegen seiner Verstrickungen in die Fuentes-Affäre noch bis zum kommenden Jahr gesperrt, Klöden wurde zuletzt von der Staatsanwaltschaft Freiburg in Zusammenhang mit verbotenen Bluttransfusionen während der Tour 2006 genannt. Vorher hatte die Staatsanwaltschaft Bonn die Ermittlungen gegen ihn eingestellt - nach einer Spende des Profis an eine wohltätige Organisation.
Aber erheblicher Erklärungsbedarf besteht auch, wenn die UCI wie erwartet auf die Ernennung von Aufrückern verzichtet. Das hieße, Joseba Beloki, Alex Zülle, Ullrich, Klöden und Co. sind es nicht wert, weil sie selbst im Dopingsumpf stecken. Das träfe dann auch auf den Kasachen Alexander Winokurow zu, der 2003 Dritter hinter Armstrong und Ullrich geworden war. Er würde damit im Oktober 2012 für unwürdig erklärt, die Stelle von Armstrong bei der Tour einzunehmen. Zwei Monate zuvor durfte er aber in London unbehelligt Olympiasieger im Straßenrennen werden.
«Das ist keinem zu vermitteln», urteilte die Sportbeauftragte der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International, Sylvia Schenk. Ihre Organisation solle helfen, ähnlich wie beim Welt-Fußball-Verband FIFA, Ordnung in die UCI zu bringen, forderte zuletzt der Luxemburger Verbands-Chef Jean Regenwetter, der McQuaid ebenfalls sehr kritisch sieht.
In der Szene wird bereits über mögliche und würdige McQuaid-Nachfolger diskutiert. Dabei fallen die Namen Jonathan Vaughters oder David Millar. Vaughters war Teamkollege von Armstrong und sagte bei der USADA gegen seinen ehemaligen Chef aus. Der Amerikaner, der sich für eine unabhängige Anti-Doping-Kommission stark macht, leitet das US-Team Garmin und engagiert sich im Anti-Doping-Kampf. Das Engagement gegen Manipulation ist mittlerweile auch dem noch aktiven Profi Millar abzunehmen. Nach einer Doping-Verurteilung 2004 wandelte sich der Buchautor aus Schottland («Racing through the Dark») zu einem glaubhaften Verfechter gegen Doping.