Silvaplana (rad-net) - Die Schweizerin Alessandra Keller (Thömus) und Simon Vitzthum (jb Brunex felt) sind die Gesamtsieger des Engadin Bike Giro 2020. Mit Julian Schelb (Stop&Go Maderabwehr) und Elisabeth Brandau (Radon-EBE Racing) fuhren auch zwei Deutsche aufs Gesamtpodest. Während Keller am Schlusstag ihren dritten Sieg in Folge feierte und damit alle Etappen des Schweizer Rennens gewann, holte sich Daniel Geismayr (Centurion-Vaude) auf dem 64,4 Kilometer langen Teilstück mit Start und Ziel in Silvaplana seinen ersten Tagessieg.
Vitzthum reichte auf der letzten Etappe ein zweiter Platz mit einem Rückstand von 1:58 Minuten hinter Geismayr, um den Gesamtsieg bei der fünften Austragung des Engadin Bike Giro perfekt zu machen. Vitzthum hatte beim Start gerade mal eine Sekunde Vorsprung auf seinen ärgsten Widersacher Lukas Flückiger (Infinity), während Geismayr nach technischen Problemen auf der zweiten Etappe bereits in der Gesamtwertung abgeschlagen über eine halbe Stunde Rückstand hatte. Daher konterte die rund zehnköpfige Spitzengruppe die Attacke des Österreichischen Staatsmeisters hinauf auf den Sulvrettapass nicht und ließ ihn ziehen.
So kam es zum erwarteten Showdown zwischen Vitzthum und Flückiger, den ersterer mit einem Vorsprung von 37 Sekunden schließlich deutlich für sich entschied. Flückiger zollte der Leistung des 25-Jährigen großen Respekt: «Ich gönne Simon den Gesamtsieg. Er war sehr stark und hat konstant sehr gute Leistungen geliefert.» Flückiger, der selbst gerne die Gesamtwertung gewonnen hätte, hatte im letzten Teil des langen Anstiegs Magenprobleme und musste Vitzthum ziehen lassen.
Zwischenzeitlich war der Vitzthums Vorsprung sogar auf drei Minuten angewachsen, doch während Flückiger in den abschließenden Singletrails alles daran setzte, Vitzthum wieder einzuholen, fuhr der auf Nummer sicher: «Ich wusste, ich muss ruhig bleiben. Eine Sekunde Vorsprung ist nichts, ein platter Reifen kostet viel mehr Zeit. Aber ich wusste auch: in der Abfahrt sind Flückiger, Julian Schelb und Thomas Litscher schneller als ich. Deswegen musste ich schon vorher einen Vorsprung heraus fahren.»
Fast unbemerkt schob sich der Münstertaler Julian Schelb auf Rang drei der Gesamtwertung. Der hatte zwar keine Podiumsplatzierungen bei den einzelnen Etappen vorzuweisen, durch seine konstant guten Leistungen wanderte Schelb in der Gesamtwertung dennoch stetig nach oben: «Ich kann eine sehr positive Bilanz ziehen. Ich hab immer das Maximale rausgeholt und bin sehr konstant gefahren.»
Pechvogel bei den Männern war der Vorjahressieger Sascha Weber, der sich extra unweit des Engadins in Livigno wochenlang speziell auf dieses Rennen vorbereitet hatte. Bei einem Sturz auf der ersten Etappe verletzte er sich unglücklich am Daumen. Zwar konnte er die zweite Etappe für sich entscheiden, bei der dritten Etappe musste der gebürtige Saarländer, der jetzt im Mountainbike-Mekka Schwarzwald lebt, überraschend aufgeben: «Als wir über eine Bahnlinie überquerten, wurde mir klar, dass ich mit dem lädierten Daumen kaum die lange Abfahrt vom Sulfretta-Pass hinunterfahren kann, so schön die Trails da auch sind. Schweren Herzens entschied ich mich, das Rennen vorzeitig zu beenden.»
Bei den Frauen war Alessandra Keller überragende Siegerin. Sie setzte sich knapp zwanzig Minuten vor ihrer Landsfrau Linda Indergand, die im Trikot der Schweizerischen Nationalmannschaft gestartet war, durch. Die Grundlage für ihren Gesamtsieg legte sie in den Anstiegen, wo sie kaum Zeit auf ihre Konkurrentinnen verlor. In den Downhills aber spielte sie ihre technische Brillanz aus. Dabei hatte Keller gar nicht damit gerechnet, das hochklassig besetzte Rennen so zu dominieren: «Ich hab nicht damit gerechnet, dass der Gesamtsieg so deutlich sein wird. Aber ich habe mich im Vorhinein sehr gut gefühlt und konnte trotz Corona gut trainieren. Für mich war es wirklich mal Zeit, auch nach meiner Verletzung letztes Jahr, dass ich mein Potential voll abrufen kann», sagte Keller.
Ihr bestes Tagesergebnis erreichte die Deutsche Meisterin Elisabeth Brandau. Nachdem sie mit dem feuchtkalten Wetter bei der zweiten Etappe überhaupt nicht zurechtgekommen war, konnte die Cross-Country-Spezialistin, für die Anstiege selten länger als wenige Minuten am Stück dauern, das Rennen über 3:43 Stunden besser managen: «So einen langen Anstieg kenne ich aus dem Cross-Country gar nicht, das hab ich dieses Jahr auch noch gar nicht trainiert. Ich habe daher Angst gehabt, dass es hinten raus nicht reichen würde.» Brandau hatte in einer kurzen Abfahrt vor dem langen Anstieg den Anschluss zu Keller verloren, konnte die Lücke aber wieder schließen und hatte oben am höchsten Punkt rund eine Minute Vorsprung auf Keller. «Aber Alessandra hat mich dann gleich wieder eingeholt.»
Die beiden fuhren eine Zeitlang zusammen, ehe Keller beschleunigte und der Deutschen davonzog. Am Ziel hatte Brandau dann 3:46 Minuten Rückstand, was für den zweiten Platz im Tagesklassement reichte und mit dem sie Adelheid Morath (KS Trek, Freiburg) auch noch vom dritten Gesamtplatz verdrängte.
Die Organisatoren um Kai Sauser zogen ein positives Fahrzeit. Für sie sei es ein Traum gewesen, «dass das Rennen überhaupt stattfinden durfte, dass wir es organisieren durften und dass die Sportler wieder einen Wettkampf bestreiten durften», sagte Sauser mit Blick auf die Corona-Pandemie. Und es gab sogar einen Teilnehmerrekord mit 470 Startern. Jetzt blickt Sauser voraus zur nächsten Großveranstaltung seiner Eventagentur, dem Rothaus Bike Giro im Hochschwarzwald vom 20. bis 23. August. «Da haben wir bislang das okay für 500 Teilnehmer über vier Tage.»