Tignes (dpa) - Linus Gerdemann ist umgänglich, offen und gewandt - und bekommt bei Fragen zum Thema Doping keinen Wutanfall.
Während der nach seinem Sturz schwer angeschlagene Tour-Favorit Andreas Klöden immer noch trotzig seine Verweigerungshaltung in der Öffentlichkeit kultiviert, schwebte sein 24-jähriger Landsmann auf Wolke sieben. Das erste Gelbe Trikot seines Lebens, der erste Etappensieg seiner Karriere bei der ersten Tour de France beförderten Gerdemanns Leichtigkeit. Ihm ist bewusst, dass es sich um ein Glücksgefühl des Augenblicks handeln könnte: «Ich bin über mein Limit gegangen», sagte er am Abend, nachdem ihm auch ein Verkehrsstau auf der Fahrt ins Hotel nicht die gute Laune geraubt hatte.
Freundlichkeit ist bisher das Markenzeichen des jungen Mannes aus Münster, der seit kurzem zusammen mit seiner Freundin in Kreuzlingen/Schweiz nicht unweit von Jan Ullrich wohnt. «Es geht von Tag zu Tag besser, ich fühle mich super», hatte er einen Tag vor seinem Coup auf der ersten Alpen-Etappe in Le Grand-Bornand beim Start in Semur-en-Auxois gesagt. Einen Tag später war er der neue Star der Tour, der nach den geschäftsschädigenden Skandalen so gut ins Bild des unbelasteten Nachwuchses passt. «Ein frischer Wind», titelte am Sonntag die «L'Équipe» auf ihrer ersten Seite über dem Bild des jubelnden Gerdemann. «Die Hoffnung Gerdemann» heißt es weiter. Auf Seite drei küsst der neue Tour-Held auf einem sechsspaltigen Foto voller Hingebung das Gelbe Trikot.
Mit Jan Ullrich, der vor fast genau zehn Jahren am 15. Juli 1997 in Andorra-Arcalis sein Abenteuer im Gelben Trikot startete, hat er nicht nur den Wohnort gemeinsam. Bis zum Vorjahr - das ist vielleicht der Schatten auf Gerdemanns bisherigem Werdegang - hatten sie in dem umstrittenen «Preparatore» Luigi Cecchini auch einen gemeinsamen Trainer. Gerdemann war mit dem Italiener zusammengekommen, als er 2005 ins Profilager zu Bjarne Riis ins CSC-Team wechselte.
Gerdemann, der vom Aussehen her der Bruder des Skispringers Sven Hannawald sein könnte, hat kein Problem, über die Causa Cecchini zu sprechen. Unter Druck der neuen T-Mobile-Anti-Doping-Politik nach dem Ullrich-Eklat 2006 trennte er sich von dem Italiener. «Wegen der anhaltenden Medien-Diskussion habe ich mich von ihm getrennt. Wenn etwas hinter den Vorwürfen gegen ihn steckt, würde ich automatisch in die Affäre hineingezogen. Das wollte ich verhindern, auch wenn ich ihm persönlich nichts vorwerfen kann. Ich möchte mit Leuten zusammenarbeiten, die null Toleranz gegen Doping fahren», sagte Gerdemann, der als Quereinsteiger erst mit 17 zum Radsport kam. In seiner Heimatstadt spielte er erst Tennis und dann bei Preußen Münster Fußball - «alles vom Stürmer bis zum Torhüter».