Paris (dpa) - Lance Armstrongs Überlegenheit auf der Rekordfahrt zu seinem sechsten Tour-Sieg in Serie war über jeden Zweifel erhaben. Seine Stärke und die seines überragenden Teams, weniger die Schwäche des gesundheitlich angeschlagenen Jan Ullrich, verhinderten das avisierte Duell.
Zweifel über die Methoden des 32-jährigen Texaners bleiben. Spätestens seit dem Skandal-Tour 1998 steht der Radsport, und damit auch der Jahrhundert-Fahrer Armstrong, unter Generalverdacht. Die Vorkommnisse dieses Frühjahrs nähren den Verdacht, dass von Läuterung im Radlager keine Rede sein kann.
Im Bemühen um «saubere Spiele» treten die Tour-Organisatoren auf der Stelle. Erst wurden Fahrer, gegen die wegen Dopings ermittelt wird, nicht zugelassen. Weitere wurden aus gleichem Grund während des Rennens nach Hause geschickt. Als es auch den Armstrong-Helfer Pavel Padrnos treffen sollte, schritt der Weltverband UCI ein und verweigerte die Rote Karte. Der Arm des Tour-Patrons Armstrong, der auch vor einem persönlichen Rachefeldzug gegen den Italiener Filippo Simeoni nicht zurückschreckte und ihn an einer Attacke hinderte, ist lang.
Der lange Atem für seinen zweiten Toursieg nach 1997 und seinen ersten Erfolg über Armstrong fehlte Ullrich. Die Gründe dafür sind vielfältig: Gesundheitliche Rückschläge, Abstimmungs-Probleme und Kompetenz-Gerangel im T-Mobile-Team, erneute Nachlässigkeiten in der Vorbereitung, fehlender Ergeiz nach Armstrong-Muster. Aber nicht nur der Olympiasieger, der in den Pyrenäen zwei schlechte Tage hatte, musste vor diesem Texaner die Waffen strecken. Roberto Heras, Iban Mayo, Tyler Hamilton, alle mit dem Vorschusslorbeer des Mitfavoriten gestartet, erreichten Paris nicht.
Die Ein-Mann-Show Armstrongs, die nicht frei ist von Arroganz, ließ viele Radsport-Fans kalt. Respektiert wird der Amerikaner überall, geliebt wird er nicht. Mit dem besonderen Effekt des erstmalig in L'Alpe d'Huez ausgetragenen Einzelzeitfahrens wurde der Spannungsbogen zudem überdehnt. Die Tour stieß bei 500 000 Zuschauern, verteilt auf 15,5 Kilometer, an ihre organisatorischen Grenzen. Zumal das Publikum neuerdings immer öfter Manieren vermissen lässt. Armstrong und der Punktbeste Robbie McEwen beschwerten sich über wüste Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten, besonders auch deutscher Zuschauer.
Zu den Beschwerdeführern zählte auch Jens Voigt, der als «Vaterlandsverräter» geschmäht wurde, weil zügellose Zuschauer missverständliche Fernseh-Kommentare zum Anlass persönlicher Attacken genommen hatten. Dies führt erneut auch zu der Frage, in wie weit öffentlich-rechtliche TV-Berichterstattung sich vereinbaren lässt mit eigenem Tour-Sponsoring.
Die Tour steht vor der Wende. Und dies nicht nur, weil Armstrongs triumphales Jahrzehnt vor dem Ende steht.