Fontenay-le-Compte (dpa) - Auf den ersten 188 km nach 14 Monaten Rennpause hielt Jan Ullrich bei der Sarthe-Rundfahrt fast mühelos mit den Besten mit: Freundliches Händeschütteln mit Lance Armstrong vor dem Start ins Comeback, Schulterklopfen der Konkurrenz nach der ersten Etappe.
«Es ist, als bin ich nach einer langen Winterpause zurück - es lief sehr gut», freute sich der 29-jährige Olympiasieger, der vier Ränge vor dem vierfachen Tour-Sieger Lance Armstrong über die Ziellinie rollte.
Auch die 2. Etappe über 191 km nach Pont Chateau verlief für den Doppel-Weltmeister im Zeitfahren zufrieden stellend. Zeitgleich mit Tagessieger Massimo Strazzer (Italien) erreichte Ullrich im Feld, das durch die Aufgabe des an Magenproblemen leidenden Armstrong reduziert war, das Ziel. Spitzenreiter im Gesamtklassement blieb der Franzose Carlos da Cruz. «Heute fiel es mir eigentlich noch leichter als gestern, weil die Teams alles für ihre Sprinter zusammengehalten haben», sagte Ullrich, der sich für das folgende Zeitfahren über 8,8 km «einen Platz im Mittelfeld» vorgenommen hat.
Trotzdem ist die Stimmung bei Coast nicht gut, denn die Finanzquerelen des Teams zerren weiter an den Nerven der Beteiligten. Nach einem letzten Ultimatum des Internationalen Radsport-Verbandes UCI hängt die Zukunft des Teams von Textilunternehmer Günther Dahms an einem seidenen Faden.
«Wir haben alles gemacht. Jetzt ist Herr Dahms an der Reihe. Bis Freitag müssen die Anwälte eine Lösung gefunden haben», sagte Ullrich-Betreuer Rudy Pevenage. Dem Einsatz des Belgiers war es zu verdanken, dass durch die kurzfristig gegebenen Finanzgarantien des italienischen Ausstatters Bianchi von der UCI am Dienstag unmittelbar vor dem Start wenigstens die vorläufige Fahrerlaubnis für Ullrich erteilt wurde. Bis Freitag fordert die UCI von Coast und Bianchi die Darlegung der Finanzverflechtungen - sonst droht Ullrich die Rücknahme der Lizenz.
«Zwei Minuten haben am Montag gefehlt, dann wären wir weg gewesen», sagte Pevenage. Der Wechsel zu einem anderen Team könnte jetzt allerdings trotzdem ganz schnell gehen, und dann wäre das Schicksal des Coast-Teams besiegelt, das im Vormonat schon der zweifache Vuelta-Sieger Alex Zülle (Schweiz) Hals über Kopf verlassen hatte.
«Wenn wir gehen, sieht es für das ganze Team schlecht aus. Hier fahren doch auch eine Menge Freunde von Jan. Deshalb will er unbedingt versuchen, wenigstens bis Oktober durchzuhalten. Aber wenn wir keine Lizenz haben, müssen wir uns natürlich umorientieren», meinte Pevenage, der weiter von «mehreren» möglichen Kandidaten spricht, die am Ullrich-Paket interessiert seien. Am «Tropf» des Olympiasiegers hängen neben Pevenage sein Bruder Stefan als Mechaniker, Team-Kollege Tobias Steinhauser und eine Physiotherapeutin.
Ullrich wurde nach der 1. Etappe der Presse von Coast-Sprecher Marcel Wüst in Fontenay-le-Compte präsentiert - mit der ausdrücklichen Maßgabe: «Nur sportliche Fragen.» Daran hielt sich der Tour-Sieger von 1997 und beschränkte sich artig auf ein Resümee seiner ersten Kilometer: «Die Beine brummen ganz schön, und die Kraft, die ich noch brauchen werde, ist noch längst nicht da. Aber immerhin konnte ich an einer Steigung einmal ein Loch zufahren. Am Schluss habe ich den Zielstrich herbeigesehnt. Es ist schön, wieder dabei zu sein und mit den Kollegen zu sprechen.»
Sein zwei Mal operiertes Knie habe ihm «keinerlei Schwierigkeiten» bereitet, «trotzdem lasse ich es weiter ruhig angehen. Mein eigentliches Comeback ist ja erst 2004 geplant». Trotzdem werde er immer wieder auf die diesjährige Tour de France angesprochen: «Ein Platz auf dem Podium wäre ein Traum», sagte Ullrich, dessen theoretischer Rennplan bis zur Tour in groben Zügen steht: Aragon-Rundfahrt, Rund um Köln, vielleicht Lüttich-Bastogne-Lüttich, Henninger Turm, Deutschland-Tour, Tour de Suisse.