Frankfurt (rad-net) - Rudolf Scharping, Präsident des Bundes
Deutscher Radfahrer (BDR), sieht die deutschen Erfolge bei der Tour de France
als Beleg der Verbandsphilosophie. «Das bestätigt genau unsere Linie: Seit
längerem setzen wir auf junge, unverbrauchte Sportler, und zwar in allen
Disziplinen», sagt der 65-Jährige über die fünf Etappensiege von
Marcel Kittel, André Greipel und Tony Martin.Gespannt blickt der BDR-Präsident
auf das Finale der 100. Frankreich-Rundfahrt am Sonntag in Paris und hofft auf einen siegreichen Schlussspurt der
deutschen Sprinter. Im Interview spricht Rudolf Scharping über die jüngsten Erfolge in Frankreich und die möglichen Auswirkungen auf den deutschen Radsport.
Herr Scharping, mit fünf Etappensiegen waren die deutschen Fahrer bei der
Tour de France bislang so erfolgreich wie lange nicht mehr. Hatten Sie das
erwartet?
Rudolf Scharping: Ich hatte es gehofft und bin nun, angesichts der Erfolge
von Marcel Kittel, André Greipel und Tony Martin sehr stolz. Unsere Athleten
haben bisher in der Tour eine große Vorstellung geboten, allen voran Marcel
Kittel mit seinen drei Etappensiegen. Tony Martin hat nach seinem unglücklichen
Sturz auf der ersten Etappe auf den folgenden Abschnitten eine schier
unglaubliche Leistung vollbracht und wurde im ersten großen Zeitfahren seiner
Favoritenrolle gerecht.
Es sind insbesondere die jungen Athleten, die mit starken Leistungen
beeindrucken.
Scharping: Das bestätigt genau unsere Linie: Seit längerem setzen wir auf
junge, unverbrauchte Sportler, und zwar in allen Disziplinen. Die
internationalen Erfolge unserer Athletinnen und Athleten, insbesondere auch bei
Weltmeisterschaften und den letzten Olympischen Spielen machen dies sehr
deutlich. Parallel zu den Erfolgen in der Tour sind unsere Nachwuchssportler
gerade mit elf Medaillen - davon drei goldene - von den
Bahn-Europameisterschaften zurückgekehrt. Auch in den Sparten Mountainbike und
BMX konnten wir im Juli einen Europameister feiern.
Das breite Interesse am Radsport hat durch die Dopingproblematik der
Vergangenheit aber angeblich nachgelassen.
Scharping: Das sehe ich nicht so. Das Interesse am Radsport lässt sich nicht
dadurch messen, was und wie viel die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten übertragen. Mehrere hunderttausend Zuschauer bei Eurosport sind keine
Minderheit. Und ARD und ZDF berichten auf ihren Internetportalen zunehmend
intensiv. Die Erfolge der deutschen Radprofis in der Tour de France wecken also
großes Interesse; ihre Leistung wird respektiert und als saubere Leistung
anerkannt.
Aber der Radsport kämpft nach wie vor mit einem Dopingproblem.
Scharping: Das ist kein Problem des Radsports alleine. Das betrifft sehr
viele Sportarten. Aber der Radsport hat mehr dagegen getan als andere und hat
leider auch allen Grund dazu gehabt. Junge Fahrer heute wegen des «verseuchten»
Jahrzehnts unter Generalverdacht zu stellen, ist aber unfair.
Glauben Sie, dass der Radsport in Deutschland je wieder so dastehen wird
wie vor der Krise?
Scharping: Der Hype um den Radsport, der 1996 begann und mit dem Tour-Sieg
von Jan Ullrich einen Höhepunkt fand, war genauso übertrieben wie der Absturz
zehn Jahre später. Inzwischen normalisiert sich das etwas. Aber über dem Berg
ist der Radsport noch nicht. Allerdings zeigen mir Statistiken, dass wir auf
einem sehr guten Weg sind: Die Mitgliederzahlen im Verband wachsen, die
Zuschauerzahlen bei den Veranstaltungen sind ungebrochen hoch, eher noch
gestiegen, ebenso die Teilnehmerzahlen an unseren Jedermann-Veranstaltungen. Das
sind Werte, die mich optimistisch in die Zukunft blicken lassen.
Was wünschen Sie sich für den deutschen Radsport?
Scharping: Dass die Bemühungen aller Beteiligten, ob Sportler, Trainer oder
die vielen Ehrenamtlichen, entsprechend gewürdigt werden und der Radsport
endlich wieder die mediale Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient hat. Und ganz
konkret: Dass Marcel Kittel oder André Greipel am Sonntag einen weiteren
Tour-Etappensieg feiern. Ich blicke jedenfalls gespannt nach Paris und drücke
die Daumen.