Turin (dpa) - Der 94. Giro d'Italia hält dem Radsport einen Spiegel vor. Das Thema Doping beherrscht die Italien-Rundfahrt schon, bevor es am Samstag mit einem 19,3 Kilometer langen Teamzeitfahren in Turin überhaupt losgeht.
Die Staatsanwaltschaft in Mantua nahm noch Einfluss auf die Besetzungsliste und bremste beispielsweise Ex-Weltmeister Alessandro Ballan aus. Aber dem Topfavoriten Alberto Contador wollte oder konnte zum jetzigen Zeitpunkt keiner an den Karren fahren. Sein Name lastet schwer auf dem Giro, der noch dazu im 150. Jahr der Vereinigung des Landes ganz besonders feierlich daherkommen soll.
Contador gilt als Champion auf Abruf, dem eine Verurteilung vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS droht. Das Urteil wegen des positiven Clenbuterol-Nachweises bei der vergangenen Tour de France soll im Juni gesprochen werden. Der Spanier riskiert eine Zweijahressperre und den Verlust aller Siege seit Juli 2010. Sollte Contador, der seit 2007 alle Länderrundfahrten gewann, seiner Favoritenrolle gerecht werden, droht dem 28-Jährigen nur kurze Freude - und den Giro-Veranstaltern dramatischer Verlust an Glaubwürdigkeit.
Auch andere Protagonisten der Tortur über 3524,5 Kilometer mit sieben Bergankünften sind mit dem Reizthema vertraut: Der Italiener Michele Scarponi, vor drei Jahren wegen seiner Verwicklung in den Fuentes-Dopingskandal 18 Monate gesperrt, musste sich am 14. April eine Hausdurchsuchung der Polizei gefallen lassen. Gegen ihn wird ermittelt. Sein Landsmann Danilo di Luca - Giro-Gewinner 2007 - ist nach abgelaufener Dopingsperre seit Oktober 2010 startberechtigt und wieder dabei.
Augen zu und durch - das ist in diesen Zeiten die Devise des Giro-Chefs Angelo Zomegnan. «Wer zu Beginn des Giro eine gültige Lizenz hat, wird starten», lautet sein Credo. Mit Samthandschuhen fasst er die mutmaßliche Kundschaft des offensichtlich in der Schweiz weiter praktizierenden Sportarztes Michele Ferrari an, der seit 2002 in Italien nicht mehr arbeiten darf. Zomegnan schließt aus, sie wegen möglicher Rufschädigung von seiner Veranstaltung fernzuhalten. Gegen einen Sieg des nicht belasteten Vorjahres-Dritten Vincenzo Nibali hätte er sicher nichts einzuwenden.
Zum 150. Geburtstag haben die Giro-Planer einen spektakulären und symbolisch aufgeladenen Kurs abgesteckt. Er beginnt in der historischen Hauptstadt Turin, folgt dem Weg des Nationalhelden Giuseppe Garibaldi bis nach Sizilien. Der Ätna wird erklommen, im Norden dann Großglockner und Zoncolan. «Wir verbinden die Geschichte der Einigung des Landes und die großen Momente des Radsports miteinander», kündigte Zomegnan an. Als besondere Ehre verpasste er dem der Zusammenarbeit mit Ferrrari verdächtigten Landesmeister Giovanni Visconti die Jubiläums-Startnummer 150.
Besonders die Dolomiten-Etappen 13 bis 15 haben es in sich. Der superschwere Crostis-Pass eigne sich mehr «für ein Picknick, nicht aber zum Radfahren», befand Contador nach einer Inspektionsrunde in dieser Woche. Ansonsten fühle er sich in «guter Verfassung» und will «um den Sieg mitkämpfen». Der Giro mit 40 000 Höhenmetern sei wesentlich schwerer als die Ausgabe von 2008, die er gewann. Neben Scarponi und Nibali könnte ihm vor allem noch der Tscheche Roman Kreuziger die Suppe versalzen.
Die sechs deutschen Giro-Starter haben keine Ambitionen auf das Gesamtklassement. Vor allem Fabian Wegmann, 2004 als bisher einziger deutscher Profi Gewinner des Bergtrikots, und die Sprinter Gerald Ciolek und Danilo Hondo spekulieren auf einen Etappensieg. Allerdings ist Altmeister Hondo in erster Linie als Anfahrer für Alessandro Petacchi zuständig. Beide Fahrer würden den Giro vor Beginn der schweren Dolomiten-Etappen verlassen, um sich auf die Tour vorzubereiten, teilte Hondo bereits mit. Diesem Wettkampfplan dürfte in Italien auch der britische Topsprinter Mark Cavendish folgen.