La Planche des Belles Filles (dpa) - Vincenzo Nibali hatte als neuer Patron der Tour de France gerade erst das Gelbe Trikot an sich gerissen, da gingen seine ersten Gedanken an den schwer gestürzten Rivalen Alberto Contador.
«Ich habe den Sturz hautnah miterlebt. Er fiel auf einer Abfahrt kurz vor mir. Es tut mir sehr leid für ihn. Hoffentlich ist er bald wieder fit», sagte Nibali, für den der Weg nach dem Aus seines wohl letzten verbliebenen Rivalen zum ersten Gesamtsieg bei der Frankreich-Rundfahrt nun wohl frei ist.
Contador erlitt bei seinem schweren Sturz einen Schienbeinbruch. Das sagte Teamchef Bjarne Riis zu «Cyclingweekly», die Diagnose wurde später bestätigt.
So scheint nach der spektakulären zehnten Etappe durch die Vogesen, die Tony Martin einen Tag nach seinem Etappensieg erneut zu einer famosen Vorstellung nutzte, bereits noch vor den Bergprüfungen in den Alpen und Pyrenäen eine Entscheidung gefallen zu sein. Nibali fährt in einer eigenen Liga. Auf den bis zu 20 Prozent steilen Rampen zur Skistation La Planche des Belles Filles hinauf legte er eine spektakuläre Klettershow hin, ließ alle verbliebenen Rivalen förmlich stehen und feierte seinen zweiten Tagessieg bei dieser Tour.
Einer, der ihm hätte Paroli bieten können, hatte seine Tour-Träume im Straßengraben liegen gelassen. Nach einem schweren Sturz musste der zweimalige Tour-Champion Contador mit großen Schmerzen das Rennen beenden. «Es war seine eigene Schuld. Er hatte beschleunigt und war in ein Schlagloch gefahren», berichtete der Belgier Jurgen van den Broeck und Nibali ergänzte: «Für einen Moment hatte ich befürchtet, dass ich auch zu Boden gehe und meine Tour beendet ist.»
Contadors folgenschwerer Sturz ereignete sich auf der Abfahrt des Petit Ballon gut 95 Kilometer vor dem Ziel. Dabei verletzte er sich am rechten Knie, das bandagiert werden musste. Sein Bein war blutverschmiert, das Trikot verdreckt und die Hose zerfetzt. Der Tour-Champion von 2007 und 2009 musste Rad und Schuhe wechseln. Er verlor vier Minuten bei dem ungewollten Zwischenstopp. Wie paralysiert ließ er die Behandlungen durch den Tour-Arzt über sich ergehen, stieg aber trotzdem noch einmal auf sein Rad. Zusammen mit seinen Teamkollegen setzte er die Fahrt fort, 15 Kilometer später sah er die Aussichtslosigkeit seiner Lage ein. Er legte kurz den Arm um Kollege Michael Rogers, dann beendete er seine persönliche Tour der Leiden und setzte sich in den Begleitwagen zu Teamchef Bjarne Riis.
«Vor der Aufgabe hat uns Alberto gesagt, dass er überall Schmerzen habe und es so keinen Sinn mache. Bis heute war alles gut gegangen. Unser Plan war klar. Das Rennen verlief auch absolut planmäßig. In dem Bruchteil einer Sekunde ist alles schief gegangen», sagte Contadors Sportdirektor Philippe Maudit. Für Contador ist der Ausfall besonders bitter. Der 31-Jährige war in herausragender Form angereist, die er mit 2009 verglich, als er die Tour beherrschte.
So verlor die 101. Frankreich-Rundfahrt ihren nächsten Hauptdarsteller, nachdem in der Vorwoche bereits Vorjahressieger Chris Froome und Andy Schleck, der Gesamtsieger von 2010, nach Stürzen aufgeben mussten. Damit war am französischen Nationalfeiertag der Weg für den Italiener Vincenzo Nibali frei: Der Girosieger von 2013 holte sich mit seinem souveränen Tageserfolg das am Sonntag an den Franzosen Tony Gallopin verlorene Gelbe Trikot zurück.
Bis dahin hatte Martin eine zweite Sensationsfahrt innerhalb von nur 24 Stunden hingelegt. Nach seinem atemberaubenden Etappensieg in Mulhouse am Sonntag, als er eine 155-Kilometer-Flucht gekrönt hatte, schien ihn das Bergtrikot auf seinen Schultern weiter zu beflügeln.
Wie schon am Vortag schaltete der dreimalige Zeitfahr-Weltmeister seinen Hochgeschwindigkeitsmotor ein, fuhr mit fast spielerischer Leichtigkeit zu einer Fluchtgruppe auf und bildete über 70 Kilometer während des schweren Streckenverlaufs die Lokomotive für seinen polnischen Kapitän Michal Kwiatkowski. Erst 20 Kilometer vor dem Ziel war Martin dann doch mit seinen Kräften restlos am Ende und verlor noch viele Minuten.
«Tony ist unglaublich stark gefahren. Wir konnten die Gruppe nicht weit ziehen lassen», sagte Nibali, dessen Stunde auf dem Schlussanstieg schlug. Perfekt von seinem Astana-Team zur letzten Steigung herangeführt, war der «Hai von Messina» auf dem Weg zur Skistation in 1035 Metern Höhe hinauf nicht mehr zu halten.