Bagnères-de-Luchon (dpa) - Wenn bei der Tour de France tagtäglich die Siegerehrungen über die Bühne gehen, steht Bernard Hinault immer in der ersten Reihe. Der fünfmalige Gesamtsieger personifiziert die glorreiche Vergangenheit des französischen Radsports.
Vielen Champions hat Hinault in all der Zeit schon die Hände geschüttelt, nur seinem legitimen Nachfolger noch nicht. Seit 1985, als Hinault letztmals triumphierte, hofft die Grande Nation vergeblich auf einen einheimischen Toursieger.
Das lange Warten könnte aus Sicht der Gastgeber bald ein Ende haben. Noch nicht dieses Jahr, dafür müsste der Italiener Vincenzo Nibali schon vom Rad fallen. Aber schon in naher Zukunft könnte eine neue französische Generation den Radsport mitbestimmen. Bardet, 23 Jahre jung, und sein ein Jahr älterer Landsmann Pinot sind die Hoffnungsträger. Im Gesamtklassement liegen sie in Schlagdistanz zu Nibali. Dazu komplettieren der 37 Jahre alte Senior Jean-Christophe Peraud und Pierre Rolland (27) mit weiteren Spitzenplatzierungen das vorzeigbare Bild der Gastgeber.
«Es erfreut mich, dass diese neue Generation so rebelliert. Es zeigt, dass sie Charakter haben, so wie ich früher. Sie waren über meine Kritik nicht glücklich. Es beweist, dass es sie berührt hat. Wie lange habe ich auf diese Reaktion gewartet?», sagt Hinault. Jahrelang hatte er den französischen Fahrern vorgeworfen, für den Erfolg nicht hart genug zu arbeiten, keinen Killerinstinkt zu besitzen.
Der letzte französische Podiumsplatz in Paris liegt 17 Jahre zurück, als Richard Virenque hinter Jan Ullrich Zweiter wurde. Danach schafften es noch Christophe Moreau (2000) und Thomas Voeckler (2011) auf Platz vier, Sieganwärter waren sie nicht. «Es gibt eine ganze Generation an jungen Fahrern. Sprinter, Kletterer, und so weiter. Sie alle haben gleichzeitig den Durchbruch geschafft», schwärmt Virenque und zählt Sprinthoffnung Arnaud Demare dazu.
Virenque war 1998 als Betrüger aufgeflogen. Die sogenannte Festina-Affäre sorgte genauso wie der Cofidis-Skandal für eine strikte Anti-Doping-Politik in Frankreich. Das harte Vorgehen wurde als Grund angeführt, dass französische Fahrer gegen die ausländischen Konkurrenz chancenlos waren. Mit dem dichteren Kontrollnetz und der Einführung des Blutpasses sei inzwischen Chancengleichheit hergestellt. Ex-Stars wie Bernard Thevenet oder Charly Mottet verweisen darauf, dass der heutige Erfolg das Ergebnis harter Arbeit über viele Jahre sei.
Das Tour-Fieber in Frankreich ist jedenfalls schlagartig gestiegen. Das Tour-Organ «L'Equipe» überhöht mit besonderem Patriotismus das langsam wachsende Leistungsniveau. «Wir erwarten Euch auf den Gipfeln», titelte das Blatt am Dienstag vor der ersten Pyrenäen-Etappe, nachdem zuletzt Schlagzeilen wie «Dieses Jahr oder nie» und «Das ist Eure Tour» zu lesen waren. Auch die TV-Quoten stiegen an. Auf der Alpen-Etappe nach Risoul schauten bis zu 6,6 Millionen Franzosen zu, was einen Marktanteil von 55 Prozent ausmachte. Tourchef Christian Prudhomme prophezeit weitere Großtaten: «Das ist erst der Anfang.»
Pinot und Bardet könnten den Franzosen in den nächsten Jahren elektrisierende Duelle wie einst in den 60er Jahren Raymond Poulidor und Jacques Anquetil bescheren. Der Hype geht Pinot zu weit: «Ein Duell wäre es erst, wenn es um den Sieg geht.» Er und Bardet seien auf dem Rad Rivalen, sonst aber miteinander befreundet. Trotzdem irritierte ihn, dass Bardets AG2R-Team auf der Abfahrt des Col d'Izoard attackierte. Pinot gilt als schlechter Abfahrer, im Winter wurde seine Angst vor den rasenden Talfahrten behandelt. «Sie sollten lieber versuchen, Alejandro Valverde und Tejay van Garderen abzuhängen.»
Denn am vorletzten Tag kommt noch das Zeitfahren, die große Schwäche der beiden Youngster. «Ich habe mit Thibaut gesprochen. Er glaubt, dass er drei Minuten auf van Garderen verliert, bei mir werden es vielleicht fünf sein», sagt Bardet. So muss Hinault wohl noch ein wenig auf den nächsten französischen Toursieger warten. Er hofft, dass er es zu Lebzeiten mitbekommt. Der Ex-Champion ist 59 Jahre alt.