Hagen (rad-net) - Die Cross-Country-Europameisterschaften
werden diesen Sommer nicht in Istanbul ausgetragen. Das hat das Management Board
des Europäischen Radsport-Verbands UEC mitgeteilt. Nach monatelangen
Diskussionen um die politische Situation in der Türkei und dem angekündigten
Verzicht einiger wichtiger Nationen sollen die Titelkämpfe vom 27. bis 30. Juli
im norditalienischen Darfo Boario Terme stattfinden.
Sechs Terror-Anschläge allein 2016, der Ausnahmezustand,
tausende Verhaftungen in der Türkei, diese Gemengelage am Bosporus hat viele
Sportler und ihre Verbände zum Nachdenken gebracht. Und schließlich dazu ihren
Verzicht auf einen Start, bzw. einer Entsendung zu erklären.
Die Österreicher haben eine solche Entscheidung gefällt, in
der Schweiz gab es eine klar ablehnende Haltung, auch in den Niederlanden –
bereits vor dem Eklat um den Auftritt der AKP-Vertreter – und in Frankreich.
Auch beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR), respektive den Bundestrainern Peter
Schaupp und Marc Schäfer gab es deutliche Bedenken. Zumal auch das Auswärtige
Amt schon im Winter entsprechende Warnungen (Stand 27.04.2017) vor
Menschenansammlungen herausgegeben hat. Eine aktuelle Gefährdungslage ist nicht
von der Hand zu weisen. Im Vergleich zur EM 2010 in Haifa, Israel, sind ja sogar
konkret Ausländer im Visier der Anschläge und noch dazu von zwei verschiedenen,
kurdischen und islamistischen Gruppierungen.
Die Verantwortung wollte man nicht übernehmen, vor allem
nicht mit Blick auf die Nachwuchs-Sportler. Wenn ein Elite-Sportler an einer EM
in Istanbul teilnehmen wollte, hätte man ihm das auch freigestellt, so war
letztlich die Haltung beim BDR. Es gab in Deutschland, aber auch international
zwar einzelne Sportler, die trotzdem nach Istanbul gefahren wären, aber das Gros
war dagegen.
Die Garantie des Polizeichefs
In der Türkei versuchte man zu beschwichtigen. Ende
Dezember war Enrico Della Casa, Generalsekretär der UEC in Istanbul und traf
dort den Polizeichef. «37000 Polizisten arbeiten in Istanbul. Der Polizeichef
hat mir die Situation detailliert erklärt und gab mir seine Garantie, dass alles
dafür getan wird, dass der Event reibungslos verlaufen kann», erklärte Della
Casaauf Nachfrage von rad-net.de
Das hat Athleten und Verbände wohl nicht wirklich
überzeugt.
Mitte Januar teilte della Casa erneut mit, dass die EM «wie
viele andere Events in diesem Jahr» in Istanbul stattfinden werde. Zu diesem
Zeitpunkt war allerdings noch nicht mal bekannt, an welchem Ort genau die Rennen
stattfinden sollen. Nur der Plan war bekannt, den Eliminator an der Blauen
Moschee zu veranstalten.
Die Moschee ist eine große Touristen-Attraktion in Istanbul
und am gab es vor einem Jahr in deren Umgebung schon einen Selbstmord-Anschlag
des selbst ernannten Islamischen Staats, bei dem zwölf deutsche Touristen ums
Leben kamen.
Von dieser Idee kamen die Verantwortlichen zwar wieder ab,
doch entscheidend war das am Ende auch nicht.
UEC arbeitete im Hintergrund an Plan B
Die UEC blieb zwar offiziell bei Istanbul, doch im
Hintergrund wurde aktiv an einem Plan B gearbeitet. Dem Türkischen Verband die
EM einfach wegzunehmen, funktioniert natürlich nicht so einfach. Wenn aber die
wichtigsten Nationen nicht teilnehmen wollen, wird sie auch zur Farce und
vermittelt auch kein positives Bild mehr.
Letztlich lässt sich über drei Monate hinweg kaum
einschätzen wie sich die Lage in der Türkei entwickeln wird, das unter teilweise
fragwürdigen Umständen knapp ausgegangene Referendum am 16. April hat es nicht
einfacher gemacht und die Massen-Verhaftungen, die es vor zwei Tagen gegeben
hat, auch nicht.
Darfio Boario Terme: In Sachen Cross-Country-Rennen
noch unbekannt
Auf diesem Hintergrund konnte man den Türkischen Verband
wohl bewegen auf sein Austragungsrecht zu verzichten. Und man hatte mit dem
15.000-Einwohner-Ort Darfio Boario Terme einen Ausrichter gefunden, der sich
zutraut, die EM zu stemmen. Mit nur drei Monaten Vorlaufzeit.
«Die Entscheidung ist für mich nachvollziehbar und zu
begrüßen, in Anbetracht der Gesamtsituation ist die Verlegung besser. Es geht ja
nicht gegen den Türkischen Verband, sondern um die Sicherheit der Sportler»,
erklärt Bundestrainer Peter Schaupp. Und im Blick auf den neuen Austragungsort:
«In Italien haben sie viel Erfahrung und wissen schon was sie machen.»
Ein MTB-Rennen gab es an diesem speziellen Ort allerdings
bis dato noch keines. Darfio Boario Terme liegt etwa zehn Kilometer vom
nördlichen Ende des Lago d’Iseo entfernt, rund 50 Kilometer nordwestlich von
Bergamo. Es gab in Italien wohl weitere Interessenten, auch das eine Stunde
entfernte Montichiari war im Gespräch.
«Abwesenheit der wichtigsten Mountainbike-Nationen»
«Die Entscheidung, den EM-Ort zu verlegen war nicht einfach
zu treffen. Einige Monate lang hat der Türkischen Verband und in Kooperation mit
den türkischen Behörden unnachgiebig versucht den Event bestmöglich
vorzubereiten», wird UEC-Präsident David Lappartient in der Pressemitteilung
zitiert.
«Durch die unglücklicherweise geringe Beteiligung der
Nationalen Verbände und der mehrheitlichen Abwesenheit der wichtigsten
Mountainbike-Nationen, sowie in Anbetracht der Live-Übertragung der Rennen mit
dem Ziel den Zuschauern möglichst attraktive Wettkämpfe zu bieten, hat das UEC
Management Board entschieden, die Mountainbike-EM 2017 nach Darfo Bario Terme zu
vergeben, in der Hoffnung, dass sie bald in die Türkei zurückkehren werden.»
Auch wenn in der Türkei allgemein und in Istanbul im
Besonderen weiter internationale Sportveranstaltungen über die Bühne gehen, die
Mountainbiker haben die Bedenken bezüglich der Türkei nicht exklusiv. Der
Deutsche Olympische Sportbund hat wegen Sicherheits-Bedenken im Februar auf die
Entsendung einer Mannschaft zu den Europäischen Olympischen Jugendspielen nach
Erzurum verzichtet. Wie auch einige andere Nationen.
Und im Straßenradsport kam es zu einer Verschiebung der
Türkei-Rundfahrt vom April in den Oktober, nachdem viele Profis, bzw. deren
Teams Bedenken geäußert haben. Ob sie dann im Oktober tatsächlich dort
stattfindet, wird sich noch zeigen.