Ponferrada (dpa) - Vom Krankenhaus-Patienten zum Hoffnungsträger: Wenn am Sonntag die deutsche Mannschaft bei der Straßenrad-WM in Ponferrada 48 Jahre nach dem Triumph von Rudi Altig den nächsten Anlauf auf den WM-Thron nimmt, ruhen die Hoffnungen auf dem leidenserprobten Youngster John Degenkolb.
Noch vor zwei Wochen zählte der gebürtige Thüringer zu den Topfavoriten auf das Regenbogentrikot, doch ein entzündeter Lymphknoten in Größe eines Tischtennisballs im Anschluss an die Vuelta zwang ihn zu einem sechstägigen Aufenthalt im Frankfurter Bürgerhospital.
Für seinen großen Traum sind ihm aber keine Schmerzen zu groß. «Das bin ich den Jungs schuldig. Ich bin ein Typ, der auf die Zähne beißt. Radsport ist nun einmal eine riesige Quälerei. Wir sind ein Haufen harter Kerle», sagte Degenkolb.
Die Leidensfähigkeit des 25-Jährigen ist groß, sehr groß. Im Sommer schleppte sich Degenkolb bei der Tour de France nach zwei Stürzen mit einer schmerzvollen Gesäßeinblutung über die Landstraßen. Trotzdem fuhr er zweimal auf den zweiten Platz. Bei der Spanien-Rundfahrt, bei der er vier Etappen gewann, hätte er aufgrund einer verschmutzten Schürfwunde eigentlich aussteigen müssen.
Doch das Grüne Trikot des Punktbesten wollte er trotz aller Schmerzen nicht mehr hergeben. Und sein Lieblingsrennen ist Paris-Roubaix in der «Hölle des Nordens», wo es über die mittelalterlichen Feldwege geht. Im Frühjahr hatte er dort den ersten deutschen Sieg seit 1896 als Zweiter knapp verpasst.
Gesundheitlich stehe einem Start am Sonntag auf dem anspruchsvollen Rundkurs über 254,8 Kilometern und 4300 Höhenmetern nichts mehr im Weg. Die Blutwerte seien wieder in Ordnung, doch zu den Medaillenkandidaten zählt sich Degenkolb nach seiner unfreiwilligen Auszeit nicht mehr. «Mir fehlt die Spritzigkeit», sagt der tempoharte Spezialist für Eintagesrennen.
Trotzdem geht Degenkolb als Kapitän ins Rennen, echte Alternativen hat der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) nicht. Sollte es nicht reichen, muss das Team improvisieren, wie der entthronte Zeitfahr-Champion Tony Martin betont: «Wenn der Worst Case eintritt, bin ich vielleicht einer von mehreren Jokern.» Auch Paul Martens käme das anspruchsvolle Profil zugute. «Ich bin aber im Sprint nicht so schnell wie John», gibt der Rostocker zu.
Ganz sicher keine Option ist André Greipel, wie der Sprinter selbst erklärt: «Dass ich an der letzten Welle abgehängt werde, kann ich jetzt schon sagen.» Trotzdem will der WM-Dritte von 2011 mit seiner Erfahrung helfen. «Es ist auch eine Ehre, bei der WM zu starten.»
Eine Ehre wäre es auch für Fabian Cancellara, nach vier Titeln im Zeitfahren mal im Straßenrennen ganz oben zu stehen. Der Klassikerspezialist aus der Schweiz ist der große Favorit auf den Sieg - auch wegen des Streckenprofils. Nach einem mittelschweren Anstieg wartet eine 4,5 Kilometer lange Tempo-Abfahrt zum Ziel. Ganz nach dem Gusto des dreimaligen Roubaix-Siegers, der sogar extra auf einen Start im Einzelzeitfahren verzichtete.
Auch die Gastgeber, allen voran mit dem Vuelta-Dritten Alejandro Valverde, sowie das von Tour-de-France-Sieger Vincenzo Nibali angeführte Team der Italiener gehören zu den Kandidaten auf den Titel.
Womöglich ist aber wieder das Wetter einen entscheidender Faktor. Für Sonntag ist Regen angesagt. «Das sind hier keine deutschen Qualitätsstraßen. Da fahren das ganze Jahr Autos drüber, die Öl verlieren. Da kann man schnell wegrutschen», sagt Christian Knees.
Bevor der Showdown der Männer ansteht, könnten aber bereits am Samstag die deutschen Frauen auftrumpfen. Insbesondere Zeitfahr-Weltmeisterin Lisa Brennauer zählt wieder zum Favoritenkreis. «Der WM-Titel beflügelt mich natürlich. Ich kann das Rennen entspannt und positiv angehen», sagt die Allgäuerin.