San Remo (dpa) - Der Traum vom fünften Sieg bei Mailand - San Remo machte ihn in der letzten Sekunde des 294-km-Rennens schwach. Erik Zabel riss einen Meter vor dem Ziel die Arme in die Höhe - zu früh.
Oscar Freire schob sein Vorderrad einen Sekundenbruchteil eher über die Ziellinie und durfte sich nach dem Anfänger-Fehler des Routiniers aus Unna wie bei der Weihnachts-Bescherung fühlen. «Da kannst Du nur heulen oder lachen», sagte Zabel nach der bitteren Niederlage zum Weltcup-Auftakt und machte gute Miene zum bösen Spiel. Er lächelte, überreichte die Blumen für den zweiten Platz seiner Frau Cordula und verließ Arm in Arm mit ihr den Schauplatz des dramatischen Finales. Auf ähnliche Art hatte der 33-Jährige im vergangenen Herbst Alessandro Petacchi genarrt und Paris - Tours für sich entschieden.
«Ich war mir sicher: Wer hier Petacchi schlägt, hat gewonnen», sagte Zabel nach dem Rennen, bei dem er die Rechnung ohne den Doppel-Weltmeister aus Spanien gemacht hatte: «Als ich den Schatten von Freire neben mir auf dem Zielstrich sah, wusste ich sofort, was los war. Das kann doch nicht wahr sein, dachte ich. Es blieb mir nichts anderes übrig als zu lachen.» Zwei Stunden später machte sich Zabel alles andere als niedergeschlagen auf zu einem Kurztrip zur CeBIT nach Hannover. Dann dreht sich für ihn die Tretmühle weiter: Start zur Katalanischen Woche mit Jan Ullrich.
«Freire überrumpelt Zabel», schrieb die «Gazzetta dello Sport» nach dem ersten spanischen Sieg in San Remo seit 25 Jahren. Wenigstens einen kleinen Trost hatte der tapfere Verlierer im Fotofinish: Der zweite Platz in San Remo hat seinen Spitzenplatz in der Weltrangliste weiter gefestigt: «Ich stehe die 93. Woche ganz vorn», merkte der T-Mobile-Kapitän, der sich rechtzeitig zu Beginn der zehn Weltcup-Rennen in Topform präsentierte, stolz an. Trotzdem wird er in diesem Jahr wie angekündigt auf die kommenden Weltpokal- Rennen verzichten und damit auf eine mögliche gute Platzierung in der Endabrechnung im Oktober. «Im vergangenen Herbst hat mich die Teamleitung gebeten, auf die belgischen Klassiker und Paris - Roubaix im Hinblick auf die Tour de France und Athen zu verzichten, um nicht frühzeitig Kraft einzubüßen. Das ziehe ich jetzt durch», sagte Zabel.
Bei der 95. Auflage seines Lieblings-Rennens lief im Finale alles nach dem Zabel-Plan. Der einheimische Topfavorit und Vorjahressieger Paolo Bettini wurde bei seiner Attacke auf dem Berg Poggio sechs Kilometer vor dem Ziel von seinem Team-Kollegen Alexander Winokurow mustergültig neutralisiert, so dass alles auf einen Massensprint hinaus lief. Dabei war der deutsche Meister zum ersten Mal in dieser Saison deutlich schneller als der in Sprints scheinbar unbezwingbare Petacchi, der von fünf Team-Kollegen auf die letzten 1000 Meter geführt wurde. Die Freude darüber war zu viel für den unfreiwillig großzügigen Zabel bei seinem 12. Auftritt in San Remo: «Ich war zu sehr auf Petacchi fixiert.»
Team-Manager Walter Godefroot, in aktiven Zeiten ein Topsprinter, war Zabel jedenfalls nicht böse. Der Belgier ließ keinen Zweifel daran, wer gewonnen hätte, wenn sein Kapitän die Hände am Lenker behalten hätte. Zabel dagegen, der vielleicht nie mehr wieder in die Nähe des fünften Sieges auf der Via Roma kommt, wollte sich ein Geheimnis bewahren: «Es wird ein ewiges Rätsel bleiben, wer gewonnen hätte, wenn ich nicht ...»