Luz Ardiden (dpa) - Kampfkraft, Durchhaltevermögen und Zielstrebigkeit: Diese Tugenden kommen «auch in Deutschland gut an», hat Alexander Winokurow erkannt.
Der Polizei-Oberst der kasachischen Armee fährt mit seiner Lebensmaxime («Ich kann arbeiten») gut - bei seiner fünften Tour-Teilnahme sogar in Richtung Gesamtsieg. Trotz Lance Armstrong und Jan Ullrich, dem Winokurow streng nach Mannschafts-Hierarchie eigentlich zu dienen hätte. Ullrich-Betreuer Rudy Pevenage wusste schon vor der Tour, was die Stunde geschlagen hat, als er den 31-jährigen Olympia-Zweiten von Sydney als ganz heißen Kandidaten für die Armstrong-Erbfolge ausgemacht hatte.
Als Winokurow 2003 in Paris auf der untersten Stufe des Siegertreppchens stand, habe er realisiert, dass er «eines Tages auch noch zwei Plätze höher klettern kann». Nachdem er im Vorjahr nach einem Sturz nicht startete, «könnte es in diesem Jahr soweit sein». Die Freundschaft zu Jan Ullrich soll das aushalten, wie auch im Vorjahr die Beziehungen zwischen dem Toursieger von 1997 und Andreas Klöden offensichtlich nicht litten, als der Lausitzer am Team-Kapitän Ullrich vorbei auf einen sensationellen zweiten Platz fuhr. Das französische Magazin «Velo» nannte Winokurow 2003 den «neuen» Bernard Hinault. Der «alte» Hinault gewann die Tour fünf Mal.
«Die Absprachen sind klar. Das Team arbeitet für den Besten von uns. Jan hat dabei durch seine Erfahrung und seine Erfolge die besten Karten. Aber es ist unwahrscheinlich, dass wir uns auf die Füße treten. Außerdem bin ich sicher, dass unsere Freundschaft stärker ist als alles», sagte Winokurow, der Ullrich im für ihn besonders schwierigen Winter 2002 zur Wildschweinjagd in seine Heimat einlud. Die Freundschaft begann bei den Olympischen Spielen 2000, als Ullrich, Winokurow und Klöden die Medaillen nach einem grandiosen Ausreiß-Versuch unter sich aufteilten. Armstrong war in Sydney bei der erfolgreichen Telekom-Strategie der Leidtragende.
Winokurow, der sich trainingsmethodisch im Gegensatz zu Ullrich («Preparatore» Luigi Cecchini) und Klöden (Thomas Schediwie) von Teamarzt Lothar Heinrich betreuen lässt, will sich in den «nächsten zwei, drei Jahren» voll auf die Tour konzentrieren. Dafür liebäugelt er sogar mit einem Teamwechsel und könnte nach Armstrongs Rücktritt 2006 dessen Nachfolge bei Discovery Channel antreten. «Ich warte erst das Tour-Finale auf den Champs Elysées ab - dann entscheide ich mich», sagte Winokurow an, der im Bonner Team als einziger ausländischer Export hundertprozentig einschlug, als er 2000 von der kleinen französischen Equipe «Casino» kam.
Winokurow verzieht selbst unter härtester Tour-Folter selten das Gesicht und trägt mit großem Stolz als aktueller Landesmeister das Trikot Kasachstans. Deutsche Journalisten seien manchmal sehr ignorant und wüssten nicht einmal, wo Kasachstan liege, beklagte er sich in einem Interview mit der französischen Sportzeitung «L'Équipe». Der in Petropawlosk geborene Winokurow, der bedeutende Klassiker - in diesem Frühjahr Lüttich-Bastogne-Lüttich - und Rundfahrten gewann, lebt mit seiner Frau und den drei Kindern seit Jahren in Nizza und spricht fließend französisch.
Die Basis für seine Härte wurde zu Hause schon als Jugendlicher gelegt: «Da machten wir Läufe bis 40 Kilometer. Ich habe gelernt, zu leiden.» Früher lief er mit seinem Übereifer oft ins Leere und verschleuderte seine Kräfte unnütz. Inzwischen weiß Winokurow, der für Silber in Sydney die Beförderung bei der Polizei und ein Appartement erhielt, längst wie Siege funktionieren.