Leipzig (dpa) - Man stelle sich vor, die Deutsche Fußball Liga handelt einen neuen TV-Vertrag aus - und behält das ganze Geld für sich. Alle Spiele werden frei empfangbar übertragen. Und für die Stadien müssten die Fans keinen Eintritt zahlen. Die Clubs würden fast ausschließlich Sponsorengelder als Einnahmequelle haben. Undenkbar? Natürlich. Doch im Radsport sieht genau so das Geschäftsmodell aus. Seit Jahrzehnten. Deshalb sehen einige Teamchefs die Zeit reif für eine Revolution.
Das Projekt One Cycling soll den Sport wirtschaftlich neu aufstellen. Mehr Einnahmen, eine gerechtere Verteilung, ein neuer Rennkalender, mehr Stabilität, mehr Spektakel. Die Ideen sind nicht neu, doch neu ist ein womöglich entscheidender Faktor: arabisches Geld. Der Öffentliche Investmentfonds (PIF) Saudi-Arabiens soll für das Projekt eine Anschubfinanzierung von 250 Millionen Euro bereitstellen. Mit dem 1. Januar 2026 gibt es dem Vernehmen nach auch bereits ein Startdatum.
Doch es gibt zwei wesentliche Probleme, die bis dahin gelöst werden müssen. Die Rennveranstalter sollten mit ins Boot geholt werden, ebenso die Mehrheit der Teams. «Das ist nicht einfach, weil wir nicht alle an einem Strang ziehen. Das Interessenverhältnis ist eben ein anderes als im Fußball», sagte Ralph Denk der dpa. Sein Team Bora-hansgrohe gehört zu den acht Mannschaften, die Befürworter von One Cycling sind. In der WorldTour fahren aber 18 Teams. «Einige davon gehören Oligarchen, die interessiert gar nicht, was wir machen», sagte Denk.
Bei den von Sponsorengeldern lebenden Teams herrscht Einigkeit, dass sich etwas ändern muss. «Wenn man ein Wunder sehen möchte, sollte man nach Lourdes gehen. Aber wenn sich Dinge ändern sollen, müssen wir in dieselbe Richtung arbeiten», sagte Patrick Lefevere, der polarisierende Chef von Soudal-Quick Step. «Wir rudern alle im selben Boot. Das Boot heißt Radsport. Wenn wir in dieselbe Richtung rudern, dann wächst der Kuchen um 200 Prozent.»
Der erste große Hebel zur Verbesserung dieses Kuchens - also den Einnahmen - ist der Rennkalender. Der soll verschlankt werden, wichtige Rennen sollen nicht mehr parallel stattfinden. «Das größte Problem ist, dass die besten Fahrer nicht oft genug gegeneinander fahren oder sich bewusst im Vorfeld der Tour de France aus dem Weg gehen», sagte Denk. Zudem schlägt er ein einfaches Punktesystem vor, mit dem jeder Fan einfach nachvollziehen kann, wer der beste Fahrer eines Jahres ist.
Beim Thema TV soll es eine Zentralvermarktung geben. Aktuell schließen die Veranstalter für ihre Rennen eigene Verträge ab - und stecken das Geld dafür ein. Das führt aber auch dazu, dass kleinere Rennen draufzahlen müssen, um überhaupt eine Übertragung zu stemmen. «Wenn ich garantieren kann, dass die Besten öfters gegeneinander fahren, kann ich ein TV-Rechte-Paket besser an den Mann bringen», sagte Denk.
Auch die bekannten Gedankenspiele, an Schlussanstiegen der Tour de France Eintrittsgeld zu verlangen, fließen in das neue Geschäftsmodell mit ein. Denk machte eine Rechnung am Beispiel einer Königsetappe der Tour auf. «Die ersten drei Berge sind offen», sagte der Manager. «Und in Alpe d'Huez, wo das Rennen wahrscheinlich entschieden wird, kostet es halt etwas. Die Einnahmen werden geteilt zwischen Teams und Veranstaltern.»
Das Problem: Die ASO, Veranstalter der Tour, ist naturgemäß nicht begeistert. Weder von «One Cycling» noch von der Idee der Eintrittsgelder. Wirtschaftlich verständlich, müssten die Franzosen von ihren Einnahmen zunächst etwas abgeben. «Die größte Stärke des Radsports ist, dass es für die Leute an der Straße ein frei zugänglicher Sport ist. Das muss so bleiben», betonte Tour-Direktor Christian Prudhomme, der auch Übertragungen im Pay-TV ablehnte: «Wir verdienen nur Geld, wenn wir viele Zuschauer haben.»
Die ASO zu überzeugen, kann für «One Cycling» der entscheidende Faktor werden. Die Franzosen veranstalten neben der Tour unter anderem auch Paris-Nizza, Paris-Roubaix, die Vuelta und die drei größten deutschen Rennen. Ohne die ASO stirbt das Projekt - oder geht mit dem saudischen Geld im Rücken auf totale Konfrontation. Das kann im gravierendsten Fall dazu führen, dass die Hälfte der Elite-Teams bei der Tour de France fehlt. Ein Szenario, das niemand ernsthaft will und das dem Radsport eher schaden als helfen würde.