Turin (dpa) - Die italienischen Radsport-Fans fühlten sich an den großen Fausto Coppi erinnert. Mit unbändigem Durchhalte-Willen riss Vincenzo Nibali - wie der Campione 1953 - mit einem sagenhaften Endspurt das Rosa Trikot des Giro d'Italia doch noch an sich.
Damit machte der 31 Jahre alte Sizilianer seinen zweiten Triumph nach 2013 perfekt. Er verwies den Kolumbianer Esteban Chaves mit 52 Rückstand auf Rang zwei.
Die bemerkenwerten Newcomer Esteban Chaves aus Kolumbien und Steven Kruijswijk aus den Niederlanden haben sich an Nibali auf den letzten Metern dieser dramatischen Italien-Rundfahrt die Zähne ausgebissen. Dem äußerst bemerkenswerten zweitägigen Nibali-Comeback in den Alpen war niemand gewachsen. Und Niemand hatte es ihm nach seiner vorangegangenen Schwächephase zugetraut.
Der «Hai von Messina» gehört - gemessen an seiner Erfolgsbilanz - zu den ganz Großen des Metiers. Seit seinem Tour-de-France-Sieg 2014 fährt er im exklusiven Club jener Radprofis, die in ihrer Karriere alle drei großen Länder-Rundfahrten in Italien, Frankreich und Spanien gewonnen haben. Es sind neben ihm nur fünf.
Allerdings ist der zurückhaltend wirkende Nibali, der am Samstag im «Maglia Rosa» Tränen verdrückt hatte und vom «vielleicht schönsten Sieg meiner Karriere» sprach, in der Wahl seiner Mittel nicht immer fein. Im Vorjahr wurde er schon zu Beginn der Vuelta aus dem Rennen genommen, weil er sich berghoch an einem Auto festgehalten hatte. Am selben Tag war Chaves in Caminito del Rey ins Leadertrikot gefahren.
Vorher hatte sich der italienische Meister aus dem Astan-Team bei der Tour de France den Zorn des späteren Siegers Chris Froome zugezogen. Nibali hatte auf dem Weg nach La Toussuire gerade in dem Moment attackiert, als der Brite wegen eines technischen Defektes stoppen musste.
Nibalis sportliche «Auferstehung» bei diesem Giro begann, kurz nachdem der bis dahin führende Kruisjwijk durch einen bösen Sturz auf der Abfahrt vom Colle dell'Agnello zurückgefallen war. Mit gebrochenen Rippen konnte der Niederländer nicht mehr dagegen halten.
Obwohl für Nibali in diesem Frühjahr alles nach Plan lief, wird der Sohn eines Gemüsehändlers Astana wohl verlassen. Der umstrittene Teamchef Alexander Winokurow muss sich nach Ersatz umsehen oder alles auf den jüngeren Fabio Aru setzen, der bei der Tour die Kapitänsrolle bei den Kasachen übernehmen soll.
Nach dem starken Finale in seinem Heimspiel kann sich Nibali den neuen Arbeitgeber - womöglich aus dem Scheichtum Bahrein - mit noch mehr Gelassenheit aussuchen. Rund vier Millionen Euro pro Saison sollte der für den Sizilianer aber einplanen.