Siena (dpa) - Es gibt keine Siegerküsschen von den Hostessen auf dem Podium, und auch für die Autogrammjäger wird es eine schwere Zeit. Wenn der Radsport nach mehr als vier Monaten Corona-Zwangspause vom 1. August an mit einem Mammutprogramm wieder so richtig loslegt, gelten strikte Regeln.
Der Sport zum Anfassen geht auf Distanz. Damit der Wiederbeginn in immer noch unsicheren Zeiten nicht zum Fiasko wird, bewegen sich die Sportler in ihrer eigenen Blase. Testen, testen, testen heißt die Maxime.
«Es besteht aber immer die Gefahr, dass es wieder starke Maßnahmen gibt und alles abgeblasen wird. Wir hoffen es nicht. Für den Sport ist es wichtig. Den deutlichen Mehraufwand nehmen wir alle ohne Diskussion in Kauf», sagte Maximilian Schachmann im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Als der gebürtige Berliner im März bei Paris-Nizza seinen größten Karriereerfolg feierte, hat er bereits Einschränkungen erlebt. Das Virus hatte Europa zu dieser Zeit schon im Griff. Das Rennen konnte nur mit einem Zuschauer-Ausschluss im Start- und Zielbereich beendet werden, danach kam der Lockdown.
Wenn die Räder in der WorldTour erstmals beim Schotterrennen Strade Bianche wieder rollen, gehört Schachmann zu den Mitfavoriten. Vorher waren Corona-Tests obligatorisch. Jeweils sechs und drei Tage vor den Rennen sollen die Fahrer auf das Virus getestet werden. Danach sollen sie sich nur noch in ihrer Blase aufhalten. Doch wie sicher ist das Konzept? Schließlich reisen die Fahrer erst nach dem zweiten Test zu den Rennen, was Schachmann zu denken gibt: «Wir haben den Zeitraum mit der höchsten Kontaktrate nach dem letzten Test.»
Auch ist die Umsetzung schwierig. «Ich war in Livigno im Trainingslager und musste am Sonntag einen Corona-Test durchführen. Die Situation in Italien ist bekannt, da wartet niemand auf Maximilian Schachmann. Die Kapazitäten sind dort begrenzt», berichtet der deutsche Meister. Die Tests sollen die gebeutelten Teams selbst bezahlen, was schnell in den sechsstelligen Bereich gehen kann.
In den Rennen soll es für die Fahrer keinen direkten Kontakt zu Zuschauern oder Journalisten geben. Kann das funktionieren? Schließlich müssen die Fahrer quer durch Europa reisen, kommen in Flugzeugen mit anderen Menschen in Kontakt, wechseln nahezu täglich die Hotels und auch bei den Rennen werden Zuschauer am Straßenrand stehen - Abstand hin oder her.
So bezeichnete Rick Zabel das Konzept bereits als «sehr fragil». Was passiert, wenn ein Fahrer während einer Rundfahrt infiziert ist? Wird dann das Team ausgeschlossen? So könnte eine dreiwöchige Rundfahrt wie die Tour de France schnell ad absurdum geführt werden. Der Weltverband UCI hat dafür noch keinen Masterplan vorgelegt, sondern will aus der Situation heraus entscheiden.
Bei den Fahrern und Teams dreht sich alles um die Tour, die vom 29. August bis 18. September stattfinden soll und in Sachen Sponsoringeinnahmen von existenzieller Bedeutung ist. Aber was passiert bei einer zweiten Welle? «Wir haben uns für diesen Fall vorbereitet. Die Behörden haben von uns verlangt, Konzepte für mehrere Szenarien auszuarbeiten», sagt Tourchef Christian Prudhomme. Das Vorbereitungsrennen Criterium du Dauphiné dient als Testlauf.
Zuschauer sollen zugelassen werden, doch es gibt Einschränkungen. In den Bergen, wo sich meist Massen ansammeln, sollen die Fans nur noch zu Fuß oder mit dem Rad an die Strecke kommen. Im Notfall behält sich der Veranstalter auch das Recht vor, die Bergetappen komplett für Fans zu sperren. Auch die Werbekarawane rollte nur noch in deutlich abgespeckter Form durch das Land.
Einen Plan B für den Rennkalender gibt es nicht. Innerhalb von 101 Tagen soll die WorldTour komplett durchgezogen werden. So kommt es zu skurrilen Überschneidungen. Am 20. September soll in Paris der Toursieger gekürt werden, wenn gleichzeitig das WM-Einzelzeitfahren in der Schweiz ausgetragen wird. Und dann wäre da noch der Super- Sonntag am 25. Oktober mit dem Klassiker Paris-Roubaix, dem Finale beim Giro d'Italia und der Vuelta-Bergetappe auf den Tourmalet.