Madonna di Campiglio (dpa) - Alberto Contador fährt bei seinem vielleicht letzten Giro unbeirrt dem zweiten Gesamtsieg nach 2008 entgegen.
Weder Regenetappen auf schmierigem Untergrund, zwei Stürze oder Attacken der Konkurrenz konnten ihn bisher vom Weg abbringen. «Ich weiß es nicht», antwortete der 32 Jahre alte Madrilene auf die Frage, ob er der Patron des Giro 2015 ist.
Es besteht kein Zweifel an dieser Einschätzung. Contador geht - auf seinem bevorzugten Terrain in den Alpen - mit 2:35 Minuten Vorsprung auf den zweitplatzierten Astana-Kapitän Fabio Aru in die letzten sechs Tage der Rundfahrt, die am 31. Mai in Mailand endet.
Contadors Widersacher können sich im Giro-Endspurt noch auf einiges gefasst machen. «Manchmal ist Angriff die beste Verteidigung», sagte der Träger des Rosa Trikots. Die Spitzenposition eroberte Contador mit einem seiner besten Zeitfahren überhaupt zurück. Am Sonntag gab er sich dann in der 1715 Meter hochgelegenen Skistation Madonna di Campiglio mit fünf Sekunden Rückstand auf den neuen starken Astana-Fahrer Mikel Landa zufrieden.
Der «Meister» bedachte seinen Landsmann mit höchstem Lob. Er schätze den 25-Jährigen stärker als Aru ein, sagte Taktiker Contador. Vielleicht wollte er ja beim Konkurrenzteam etwas Unruhe stiften. Denn Astana macht einen robusteren Eindruck als Contadors Tinkoff-Saxo-Armada, die in der ersten Giro-Woche vielleicht zu viel arbeiten musste.
Mit seiner souveränen Vorstellung im Kampf gegen die Uhr in Valdobbiadene - von der Schulter- und Knieverletzung durch seine zwei Stürze war nichts zu spüren - schuf sich der Tinkoff-Saxo-Kapitän die solide Basis für den Gesamtsieg. In den Bergen verteidigt er seine Position fast ökonomisch und verfährt dabei nach dem Muster seines großen Landsmannes Miguel Indurain. Der Baske war 1995 der erste und nach der Enttarnung des Dopers Lance Armstrong einzige Radprofi, der die Tour de France fünfmal in Serie gewann.
An die Frankreich-Rundfahrt, die am 4. Juli in Utrecht/Niederlande beginnt, denkt Contador angeblich überhaupt noch nicht. Er bleibt auf den Giro fokussiert, der die erste Stufe des angestrebten Doubles sein soll. Giro- und Toursieg in einer Saison schaffte zuletzt der 2004 an einer Überdosis Kokain verstorbene Marco Pantani 1998. Contador hat sich in diesem Jahr, angetrieben von seinem schrillen Arbeitgeber Oleg Tinkow, auf dieses Ziel versteift. Nach überstandener Knie-OP ist der russische Milliardär jetzt beim Giro wieder vor Ort und überall deutlich vernehmbar.
«Jetzt schon die Tour im Kalkül zu haben, wäre ein Fehler. Nach dem Giro lege ich eine kurze Pause sein und konzentriere mich dann auf die Tour de France», sagte Contador, der in den Niederlanden und Frankreich auf die ausgeruhten Christopher Froome (Toursieger 2013), Nairo Quintana (Girosieger 2014) und Vincenzo Nibali (Toursieger 2014) treffen wird. 33 Tage Rennpause müssen Contador reichen.
Wenn der Spanier wie angekündigt seine Karriere 2016 beendet, dürfte im Moment sein Giro-Abschied laufen. «Ich weiß nicht, ob ich nächstes Jahr zurückkomme», hatte Contador am Sonntag erklärt. Die Belastungen seiner dunklen Dopingjahre, die ihm 2011 eine zweijährige Sperre eingebracht hatten, scheint er abgestreift zu haben. Beim Giro gibt er sich leutselig wie selten und spricht sogar englisch.