St. Flour (dpa) - Das Versteckspiel ist vorbei. Spätestens auf dem Weg zur ersten Bergankunft am 16. Juli hinauf nach La Mongie müssen die Favoriten der 91. Tour de France die Karten auf den Tisch legen.
Liebend gern würden die Konkurrenten dem bisher souveränen Tour-Regenten Lance Armstrong bereits in den Pyrenäen und damit schon vor dem Showdown in den Alpen die Grenzen aufzeigen.
Ungeachtet des bisherigen Tour-Verlaufs mit einem eher zurückhaltenden Jan Ullrich setzt Sprinter Danilo Hondo (Team Gerolsteiner) weiter auf seinen ehemaligen Teamgefährten: «Jan bewegt sich auf einem ganz anderen Niveau als in den letzten Jahren. Er ist über drei Wochen der bessere Fahrer.»
In der kommenden Tagen hat Ullrich reichlich Gelegenheit, seinen Anspruch auf den zweiten Tour-Sieg nach 1997 zu untermauern. Denn nicht nur die beiden Bergwertungen auf den letzten 25 Kilometern der 12. Etappe am Freitag haben es in sich. Bereits 24 Stunden später werden alle Mitfavoriten beim schwierigen Anstieg zum Plateau de Beille (1780 Meter) erneut zum Angriff auf den fünfmaligen Tour-Triumphator Amstrong blasen.
Nach Meinung von Jens Voigt sind diese Etappen bereits von vorentscheidender Bedeutung. «Schon danach ist ziemlich sicher, welche drei Fahrer in Paris auf dem Siegerpodest stehen», hatte der deutsche Radprofi bereits vor Wochen beim Blick auf das Streckenprofil prophezeit.
Nicht nur Ullrich will Armstrong das Leben schwer machen. Fast scheint es, als habe sich eine teamübergreifende Allianz gegen den den Amerikaner gebildet. Mit vereinten Kräften soll dessen historischer sechster Rundfahrt-Sieg verhindert werden. Selbst der aussichtslos zurückliegende Iban Mayo, der seine Chancen auf den Gesamtsieg bereits auf der 3. Etappe verspielte, bietet den möglichen «Alliierten» seine Hilfe an.
Denn die Basken machen Armstrong für die Tempoverschärfung nach dem Sturz von Mayo und den vor der 10. Etappe auf über fünf Minuten angewachsenen Rückstand verantwortlich. «Ich kann wahrscheinlich nicht mehr auf das Podium fahren. Aber ich glaube, dass ich ein Schlüssel für den Tour-Sieg sein kann», sagte Mayo.
Einer im Bunde der Armstrong-Jäger ist Tyler Hamilton. «Natürlich müssen wir offensiv sein. Wenn die Beine mitspielen, werde ich attackieren», kündigte der Amerikaner vom Schweizer Team Phonak an. Wie Hamilton weiß auch Roberto Heras (Team Liberty Seguros) um die Stärken und Schwächen des Titelverteidigers. Beide haben ihm bei US Postal Helferdienste geleistet, beide wollen ihn nun vom Thron stoßen. Weil der zweimalige Vuelta-Sieger Heras ein weniger guter Zeitfahrer ist, wird er sein Glück in den kommenden Tagen suchen: «In den Bergen kann alles sehr schnell gehen.»
Die mutigen Ankündigungen seiner Gegner lassen Armstrong kalt. Schließlich läuft für ihn bisher alles nach Plan. «Die erste Woche war für uns nahe an der Perfektion. Wir werden in den Bergen abwarten», sagte Armstrong, der in den vergangenen Jahren auf der ersten Bergetappe stets selbst die Initiative ergriffen hatte. Nicht nur der famose Tour-Auftakt, sondern auch der Blick zurück nimmt ihm die Angst vor den Pyrenäen. Auf jener Etappe nach La Mongie legte der Texaner im Jahr 2002 mit einem Sieg den Grundstein für seinen vierten Gesamtsieg.