Limoges (dpa) - Jetzt wird es eng. Das könnte Jan Ullrichs Motto vor dem Beginn der Berg-Etappen der Tour de France nach Ablauf der ersten acht Tour-Stationen sein. Aber der Herausforderer hielt sich am Ruhetag in Limoges mit Kampfansagen an die Adresse Lance Armstrongs zurück.
«Ich werde dann angreifen, wenn die Beine gut sind und sich die Situation dazu ergibt. Ich mache mir wegen meines Rückstandes von 55 Sekunden keine Sorgen, auch wenn ich natürlich gerne diesen Vorsprung hätte, aber ich werde mich jetzt nicht unter der Bettdecke verstecken und heulen», sagte ein schwitzender Ullrich in der stickigen Hotel-Bar vor einem Heer von Kameraleuten und Journalisten im heillos überfüllten Hotel Richelieu.
«Attacken sind nicht auf dem Reißbrett zu planen. Jan wird die Chancen nutzen, sobald sie sich bieten», prophezeite sein Betreuer Rudy Pevenage, der am Montag zusammen mit dem Olympiasieger eine zweistündige Trainingsfahrt absolvierte: «55 Sekunden das ist auf eine Art viel, aber auch nix. Ich hoffe, dass wir in den Bergen nach Minuten rechnen», meinte der Belgier, der auf der ersten Pyrenäen- Etappe am Freitag nach La Mongie spätestens den ersten ernsthaften Schlagabtausch der Favoriten erwartet. Aber auch die beiden Abschnitte davor durch das Zentralmassiv haben es mächtig in sich.
Ullrich fährt in den nächsten Tagen auf unbekanntes Terrain. «Ich bin selber gespannt, wie es in den großen Bergen laufen wird. Nach den Flachetappen, weiß - glaube ich - keiner von uns, wie es läuft, wenn es hoch geht. Wenn ich mich gut fühle, würde ich auch mit Hamilton oder anderen mitgehen, wenn die angreifen. Ich klebe nicht an Armstrong», meinte der T-Mobile-Kapitän, der sich im Gegegensatz zu den Amerikanern Armstrong (Ullrich: «Er sieht sehr starke aus») und Hamilton nicht mit Bodyguards umgibt.
«Ich bin bisher auch so zurecht gekommen, ich finde das ein wenig übertrieben. Unser Sport lebt doch auch von der Nähe zu den Fans - das ist in der Formel 1 und im Fußball anders», erklärte Ullrich, der auch vor dem winzigen T-Mobile-Hotel in Limoges Autogramme schrieb, obwohl es leicht nieselte.
«Ich kann bei jedem Wetter fahren, es kommt wie es kommt», behauptet das «Sonnenkind» aus Rostock, das Armstrong im Vorjahr im Zeitfahren in Cap Decouverte sicher auch deshalb in Grund und Boden fuhr, weil die Quecksilbersäule auf fast 40 Grad geklettert war. Darauf dürfte Ullrich bei dieser Tour noch etwas warten müssen. Auch die Trainingsfahrt rund um Limoges fand zum Teil bei erneut nicht sehr einladenen Bedingungen statt.
«Nicht oft» habe er während der Tour Kontakt zu seinem italienischen Trainer Luigi Cecchini, von dem Ullrich zum ersten Mal öffentlich in einem «L'Equipe»-Interview vor einigen Tagen berichtete. Er schätze an dem 61-jährigen Italiener aus Lucca, den manche «umstritten» nennen, obwohl er mit den unerbittlichen Doping- Ermittlern seines Landes noch keinen relevanten Kontakt hatte, «seine Ruhe und seine Ausstrahlung». Er habe «neue Impulse» geben können. «Das ist nur ein Trainer, er stellt keine Rezepte aus», stellte Pevenage klar.
Cecchini betreut viele Weltklasse-Profis und dürfte in erster Linie auch hinter der sagenhaften Erfolgs-Bilanz des dänischen CSC- Teams von Bjarne Riis in diesem Frühjahr stecken. Bei der Tour wartet Ullrichs ehemaliger Team-Kapitän und Vorgänger als Toursieger allerdings noch auf den großen Erfolg. Vielleicht bringen die Berge den Durchbruch - darauf hofft ja auch Ullrich.