Pescara (dpa) - Als Jungstar Remco Evenepoel auf dem dicht gefüllten Piazza della Rinascita von Pescara im grellen Scheinwerferlicht auf die rosa Bühne rollte, hatte er sicherheitshalber seine rote Maske übergestreift.
Der Straßenrad-Weltmeister ist vor dem Start des 106. Giro d'Italia besonders vorsichtig, schließlich sollen vier harte Monate Vorbereitung mit vielen Entbehrungen nicht umsonst gewesen sein. Denn pünktlich zur ersten großen Rundfahrt des Jahres sind die Corona-Sorgen zurück im Radsport.
«Eine Botschaft an alle»
Gleich mehrere Fälle haben Evenepoel und Co. aufgeschreckt. «Der Verlust mehrerer Fahrer im Peloton muss eine Botschaft an alle sein, dass wir aufpassen müssen, dass das Virus immer noch da ist. Das gilt für Fahrer, Sportdirektoren und Journalisten. Tragt eine Maske», mahnte der belgische Ausnahmefahrer. Viele Kollegen sahen es ähnlich wie Evenepoel bei der stimmungsvollen Team-Präsentation am Donnerstagabend und trugen wieder einen Mund- und Nasenschutz.
Vor allem im Jumbo-Visma-Team von Evenepoels großen Rivalen Primoz Roglic (Slowenien) hat das Virus für einige Verwerfungen gesorgt. Gleich drei Helfer mussten nach einer Infektion für die am Samstag beginnende Italien-Rundfahrt ausgetauscht werden. Zwar gibt es in dieser Saison keine Coronabeschränkungen oder verpflichtende Tests mehr, aber wenn das Virus erst einmal in der Mannschaft ist, drohen Krankheiten und Ausfälle. «Wenn man auf diesem Niveau krank ist, hat man ein Problem», sagte Roglic mit Blick auf die schwere Rundfahrt, bei der von Fossacesia Marina bis zum Ziel in Rom 3489,2 Kilometer und mehr als 50.000 Höhenmeter zu bewältigen sind.
Auch Kämna und Bora-Team gewarnt
«Locker sind wir alle nicht», sagte der deutsche Hoffnungsträger Lennard Kämna der dpa mit Blick auf das Corona-Thema. Sein Bora-hansgrohe-Rennstall hat vor dem Giro alle Teammitglieder testen lassen, wie Sportdirektor Jens Zemke betonte: «Das Virus ist offenbar hochansteckend.» Teamchef Ralph Denk glaubt nicht, dass man vorbeugend allzu viel machen kann. «Jumbo ist schon ein Team, wo viel Wert auf Maßnahmen gelegt wird. Trotzdem hat es drei Rennfahrer erwischt», sagte Denk in einer Medienrunde und ergänzte: «Das Hirn einschalten und hoffen, dass man ein bisschen Glück hat, dass man ein stabiles Immunsystem hat.»
So könnte Corona den Kampf um das Maglia Rosa beeinflussen. Dabei verspricht das große Duell zwischen Evenepoel und Roglic schon Spannung genug. Der 23-Jährige aus Belgien, der so oft mit seinem legendären Landsmann Eddy Merckx verglichen wird, will nach dem Vuelta-Sieg im Vorjahr seine zweite große Rundfahrt gewinnen und denkt dabei schon weiter: «Wir haben einen Plan. Wir sind hier quasi mit der gleichen Mannschaft wie in Spanien, um den nächsten Schritt zu machen, um im Hinblick auf die Tour eine weitere Stufe zu klettern. Das ist die logische Wahl.» Heißt: 2024 soll es zum großen Duell der Jahrhunderttalente Evenepoel und Tadej Pogacar auf Frankreichs Landstraßen kommen.
Zweikampf Evenepoel gegen Roglic?
Bevor es so weit ist, muss Evenepoel aber erst mal Roglic besiegen. Das wird schwer genug. Der Slowene hatte zuletzt bei der Katalonien-Rundfahrt auch wegen seiner größeren Explosivität in den Bergen gegen den Belgier noch die Nase vorn. Evenepoel, der seine starke Form vor gut zwei Wochen mit dem überlegenen Sieg beim Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich unterstrich, setzt daher auch auf die 73 Zeitfahr-Kilometer. Zum Auftakt am Samstag warten gleich 19,6 Kilometer von Fossacesia Marina nach Ortona im Kampf gegen die Uhr.
Dann will auch der deutsche Zeitfahr-Meister Kämna ein erstes Ausrufezeichen setzen. Unter die besten Zehn soll es gehen, genauso wie am Ende in der Gesamtwertung. Der 26-Jährige hat in diesem Jahr die Wandlung vom Etappenjäger zum Klassement-Fahrer vollzogen. Mit Teamchef Ralph Denk verfolgt Kämna den Plan, ob es in Zukunft mal Richtung Podium bei einer Grand Tour geht. Beim Giro will Kämna es zeigen: «Ich bin vermutlich auf einem Level, das ich vorher noch nie hatte», sagte er, schränkte aber auch ein: «Ob ich mit Remco oder Primoz mithalten kann, weiß ich nicht. Das sind außergewöhnliche Fahrer.»