Berlin (dpa) - Erik Zabel hat erstmals tiefe Einblicke in sein zwiespältiges Verhältnis zu Jan Ullrich gegeben, dem er ab 2006 im Konkurrenz-Team Milram begegnen wird.
Der mit 193 Einzelsiegen erfolgreichste, aktive Rad-Profi der Welt hätte zwar auch lieber «eine sechsstellige, als eine fünfstellige Summe» verdient, «aber den Preis dafür hätte ich nicht zahlen wollen», sagte der 35-Jährige, der neun seiner 13 Jahre bei Telekom, respektive T-Mobile im langen Schatten des ersten deutschen Tour-de-France-Siegers stand. Mit der Rolle des Kronprinzen unter Ullrich, der pünktlich zum Weihnachtsfest aus seinem fast vierwöchigen Trainingslager in Südafrika in seine Wahlheimat in die Schweiz zurückgekehrt war, habe sich Zabel «arrangiert», sagte er in einem Interview mit der Wochenzeitung «Zeit».
Der Berliner, der im zurückliegenden Jahr zum ersten Mal nicht mit zur Tour genommen wurde, weil alle Team-Kraft (vergeblich) für Ullrich im Kampf gegen Seriensieger Lance Armstrong gebündelt wurde, vergleicht seine Lage im Rückblick mit der Situation der deutschen Tennis-Größen Michael Stich und Boris Becker. Zabel sieht sich als Stich: «Ich fand es schon immer krass wie mit Stich umgegangen wurde. Seine Erfolge wurden immer klein geredet, seine Niederlagen groß. Bei Becker war es genau umgekehrt. Es gibt die, die können so schlecht sein wie sie wollen, und dies gilt immer noch als Erfolg, und es gibt die anderen, die Zweiter oder Dritter werden oder sogar Erster - und das ist ist trotzdem schlecht. Ich bin froh, das ich das heute verarbeiten kann. Früher war das anders.»
Bei einem «Firmenjubiläum am Bodensee» hätte sich Zabel nach seinem Wechsel zum italienisch-deutschen Milram-Team von Ullrich mit «ein bisschen Smalltalk» verabschiedet. Nach 13 Jahren in der Bonner Mannschaft sei ihm der Abschied von seinem Betreuer und Masseur Dieter Ruthenberg am schwersten gefallen: «Bei ihm konnte ich immer meinen ganzen Seelenkram loswerden. Das war ein tränenreicher Abschied. Die Fahrer wird man ja hin und wieder treffen - ob man will oder nicht», meinte Zabel.
Der bei T-Mobile zum Teamleiter aufgerückte Rudy Pevenage zog ein kleines Fazit nach Ullrichs erstem Trainingslager: «Er hat zusammen mit Andreas Klöden, Mathias Kessler, Steffen Wesemann, Olaf Pollack, Patrik Sinkewitz, André Korff und Danilo Hondo gut trainiert - vielleicht effektiver als im Vorjahr. Sein Gewicht ist für die Jahreszeit okay». Der Belgier überwachte die Übungseinheiten selbst acht Tage. Die nächste große Trainingseinheit mit dem gesamten, 29 köpfigen Team-Kader beginnt am 10. Januar auf Mallorca. Danach will sich der 32-jährige Ullrich, der bei der Tour noch ein Mal zum ganz großen Schlag ausholen will und den zweiten Gesamtsieg nach 1997 ansteuert, weiter in der Toskana trimmen.
Wann und wo der Wahlschweizer in die Saison 2006 startet, steht noch nicht fest und ist in erster Linie von seiner aktuellen Verfassung im März abhängig. Auf jeden Fall will der T-Mobile-Kapitän am 6. Mai am Start des Giro d'Italia stehen und vorher keine Frühjahrs-Klassiker bestreiten. In Italien wird er sich eventuell auch auf T-Mobile-Neuling Jörg Ludewig (Steinhagen) stützen, der als Ullrich-Helfer in die Fußstapfen des zurückgetretenen Rolf Aldag treten will: «Ich will Jan bei der Tour helfen, so wie ich es in den Vorjahren mit meinem Kapitän Gilberto Simoni getan habe».