Lavaur (dpa) - Gestürzt, abgehängt, demoralisiert - Lennard Kämna wirkt ein wenig verzweifelt. War der junge Mann aus Fischerhude als Geheimwaffe vor einer Woche nach Nizza gereist, ist es bislang nur noch eine Tour de France zum Vergessen.
«Ich kann überhaupt nicht die Leistung abrufen, wie ich es gerne würde. Ich bin am Daueranschlag, wenn es den Berg hoch geht. Ich bin gar nicht zufrieden, wie es mit mir läuft», räumt der 23-Jährige ein.
Dabei hatte sich der Youngster so viel vorgenommen. Als Edelhelfer sollte er Emanuel Buchmann über die höchsten Pässe bringen und in Paris aufs Podium verhelfen. Dazu sollte er selbst seinen nächsten Entwicklungsschritt machen. Denn Kämna - ein Mann der Generation Egan Bernal - gilt als Versprechen für die Zukunft, als möglicher Sieganwärter von Morgen.
Morgen ist jedenfalls nicht heute. Drei Stürze an den ersten Tagen haben den Youngster zugesetzt. «Das hatte mehr Input als ich dachte», sagt Kämna, der seitdem viel Zeit in den Räumlichkeiten der Physiotherapeuten und Osteopathen bei der Tour verbringt. Er schaffe keine 100 Prozent und komme nicht an die Leistungen ran wie vor ein, zwei Wochen.
Mit «ein, zwei Wochen» meint Kämna seinen famosen Auftritt bei der Dauphiné-Rundfahrt. Nachdem sein Kapitän Buchmann nach einem Sturz das Rennen aufgeben musste, bekam der frühere Junioren-Weltmeister freie Fahrt. Dabei fuhr Kämna den Stars der Branche - von Julian Alaphilippe bis Primoz Roglic waren alle vertreten - davon und gewann im Alleingang in Megève. Sein erster großer Profisieg und für viele Experten der erwartete Durchbruch, nachdem er im Vorjahr bereits auf zwei Bergetappen der Frankreich-Rundfahrt mit den Plätzen vier und sechs aufhorchen ließ.
Kämna bringt alles mit für eine große Rundfahrer-Karriere. Er ist ein guter Kletterer mit einem Gardemaß von 1,81 Metern bei nur 65 Kilogramm Körpergewicht, im Gegensatz zu Buchmann hat er auch überragende Zeitfahrer-Qualitäten. «Er ist belastungsverträglich und hat einen großen Motor», schwärmt Teamchef Ralph Denk, der das Nordlicht vom deutschen Konkurrenz-Rennstall Sunweb abgeworben hatte.
Und auch sonst gibt Kämna eine gute Figur in der Rad-Szene ab. Eloquent, bodenständig und redegewandt tritt er auf - mit einer klaren Meinung. Nach den vielen Stürzen im Radsport scheute er nicht davor, die Veranstalter und die Fahrervereinigung CPA zu kritisieren.
Am Montag ist der erste Ruhetag der Tour, den sehnt Kämna herbei. «Ich gehe eigentlich davon aus, dass es besser wird und hoffe von Tag zu Tag.» Und die Alpen sind ja noch ein gutes Stück weg.