Utrecht (dpa) - Das war nicht Tony Martins Tour-Tag: Tropische Hitze, ein in seine Schaltung geworfener Bierbecher und ein bestens aufgelegter Rohan Dennis verurteilten seine «Mission Gelb» zum Scheitern.
Zum Auftakt der 102. Tour de France verpasste der 30 Jahre alte Wahlschweizer das heiß ersehnte erste Gelbe Trikot seiner Karriere um fünf Sekunden. Bei Temperaturen von 37 Grad raste der Australier Dennis, von Februar bis 8. Mai Inhaber des Stunden-Weltrekords, beim 13,8 Kilometer langen Zeitfahren im tropisch heißen Utrecht zum Sieg und ins Maillot Jaune. Er fuhr vor einem Millionenpublikum ein Stundenmittel von 55,44 Kilometer.
Martin war geknickt. «Ich bin mehr als enttäuscht. Zweite Plätze zählen für mich nicht mehr - ich wollte unbedingt mein erstes Gelbes Trikot. Ich habe es nicht geschafft. Ich muss damit leben, dass die Hitze mich abgetötet hat», sagte der enttäuschte Martin am Samstag. In den vergangenen beiden Jahren hatte sich jeweils der diesmal von seinem Giant-Alpecin-Team nicht aufgebotene Sprinter Marcel Kittel Gelb zum Tour-Auftakt geholt.
Die vier Topkandidaten auf den Gesamtsieg, Vorjahressieger Vincenzo Nibali (15:39), Chris Froome (15:46), Alberto Contador (15:54) und Nairo Quintana (15:57) blieben in der Hitzeschlacht dicht beisammen.
«Sicherlich ist mir auf der zweiten Hälfte auf den langen Geraden, was sonst mein Ding ist, die Kraft ausgegangen», analysierte Martin seine Fahrt. Stattdessen holte Dennis sein erstes Gelbes Trikot und fiel seiner Frau vor Freude in die Arme. Ganz kleiner Trost für Martin: Er wird am Sonntag die zweite Etappe nach Zélande im Grünen Trikot aufnehmen, das er in Vertretung für Dennis trägt, der das noch wertvollere Maillot Jaune übergestreift bekam.
Martin-Betreuer Rolf Aldag erwies sich als guter Verlierer. «Man muss neidlos anerkennen, dass Dennis gut drauf war. Er hat sich das super eingeteilt. Wir hatten ein Problem, als Tony ein Bierbecher in die Schaltung geflogen ist und ein paar Tritte ins Leere gingen - das soll aber auf gar keinen Fall eine Entschuldigung sein», sagte der Ex-Profi. «Ich habe sicher noch Chancen auf einen Etappensieg, die Tour geht ja noch drei Wochen», setzte sich Martin kurz nach seiner bitteren Niederlage schon wieder neue Ziele.
Martin hatte sich seit Saisonbeginn akribisch auf den für ihn magischen 4. Juli vorbereitet. Der dreimalige Champion im Rennen gegen die Uhr fuhr seine Muskulatur vor seinem Start hinter zwei Ventilatoren warm. Aber die drückende Hitze war unerbittlich. Auch dem drittplatzierten Fabian Cancellara (+6 Sekunden) setzten die extremem Temperaturen zu, «aber darunter litten ja alle», sagte der Schweizer, der vielleicht seine letzte Tour bestreitet.
In Utrecht herrschte am Samstag Ausnahmezustand. In die 150 000-Einwohner-Stadt waren Behörden-Schätzungen zufolge rund eine Million Besucher geströmt. Die Fans standen zum Teil in Zehner-Reihen hinter den Absperrgittern am Rand der Strecke.
Der sechste Start in den Niederlanden in der Tour-Geschichte war überschattet von einer neuerlichen Affäre des Astana-Teams. Teamchef Alexander Winokurow hatte den Niederländer Lars Boom fahren lassen, obwohl dieser durch einen zu niedrigen Cortisolwert im Gesundheitscheck aufgefallen war. Nach den Richtlinien der MPCC, der Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport, der Astana beigetreten ist, hätte Boom eine achttägige Schutzsperre absitzen müssen.
Aber Winokurow, der als Aktiver 2007 als Doper überführt und gesperrt worden war, setzte sich darüber hinweg und verwies auf die Richtlinien des Weltverbandes UCI. Ein erhöhter Cortisolwert ist nicht zwingend ein Anzeichen für Doping, Boom setzte offensichtlich ein durch ein ärztliche Attest gedecktes Kortison-Spray ein.