Tours (dpa) - Nachdem Tom Boonen den Radklassiker Paris-Roubaix gewonnen hatte, lief sein E-Mail-Postfach über. Vornehmlich Heiratsanträge erreichten den Belgier, der zur Zeit die Welt der Sprinter bei der 92. Tour de France aus den Angeln hebt.
Zwei Massensprints, zwei klare Siege und das Grüne Trikot: Der 24-Jährige, mit 1,92 Metern und 80 Kilogramm gebaut wie ein Modellathlet, noch dazu sympathisch und ganz und gar nicht abgehoben, wandelt auf Erik Zabels Spuren. «Ein Super-Typ. Er ist zur richtigen Zeit in Topform und wird hier noch mehr gewinnen», lobte Patrik Sinkewitz seinen Team-Kollege Boonen, der seine Profi-Lehre unter Lance Armstrong abgelegt hat.
«Ich hatte vor der Tour gesagt, dass das Grüne Trikot eines meiner Ziele ist. Aber ich habe eigentlich keine Lust, dafür in jedem Zwischensprint draufzuhalten. Vielleicht muss ich da umdenken», sagte Boonen, der bei seinem Tour-Debüt 2004 insgesamt zwei Etappen gewann, darunter die prestigeträchtigste zum Abschluss auf den Champs Elysées. Diese Marke kann er in diesem Jahr locker übertreffen. Eigentlich profitiert der Belgier, mit Erfolgen bei Paris-Roubaix, der Flandern-Rundfahrt, beim Grand Prix Harelbeke und der Belgien-Rundfahrt schon der große Mann des Frühjahrs, vom Fehlen einiger Topsprinter, an erster Stelle Alessandro Petacchi.
Aber Boonen, der nach seinem Triumphzug durchs Frühjahr ganz in Ruhe zehn Tage Urlaub («Ohne Rad») einlegte, sieht das anders: «Mit Petacchi ist jeder Massensprint ausrechenbarer. Man weiß, an wen man sich zu halten hat. Jetzt ist es chaotischer, speziell mit den australischen Kamikaze-Fahrern wie McEwen und Cooke.» Die Einschätzung über McEwens Fahrweise teilt nicht nur Zabel, der bei der Österreich-Rundfahrt wehmütig nach Frankreich blickt, sondern auch die Jury. Wegen Kopfstoßes wurde der ungestüme Australier, der im Vorjahr das Grüne Trikot holte, nach seinem dritten Platz in Tours auf Rang 186 des Tagesklassements strafversetzt.
Für Boonen, der als U-23-Fahrer den Klassiker Paris-Tours gewann, ist McEwen der schärfste Widersacher im Kampf um das Trikot des besten Sprinters, das Zabel sechs Mal gewann. Hilfe gegen den Australier kann der Mann in Grün auch weiter von Sinkewitz erwarten, der sich schon auf dem Weg nach Tours vor Boonen spannte. Allerdings durchlebt sein gleichaltriger Team-Kollege aus Fulda gerade schwere Zeiten, seit sein Wechsel zu T-Mobile zum Saisonende feststeht. Sinkewitz moniert ausgeprägtes Mobbing durch Teammanager Patrick Levèfere: «Er ist angefressen.»
Der aktuell Zweitplatzierte der ProTour-Wertung setzt weiter Prioritäten und handelt nach der Maxime eins nach dem anderen: «Petacchi hat es vorgezogen auf die Tour zu verzichten, um sich in Ruhe auf die WM im Oktober in Madrid vorzubereiten. Das Regenbogentrikot ist schön, aber jetzt haben wir erst Juli und deshalb bin ich hier.» An die letzte WM mit einem Sprinter-Kurs erinnert sich Boonen nicht so gern: «2002 als Cipollini den Titel holte, konnte ich mir den Zieleinlauf ganz in Ruhe anschauen, weil ich vorher aufgegeben hatte». Aber da war er erst 21.