Hamburg (dpa) - Die Folgen der jüngsten Doping-Enthüllungen um das
frühere Radsport-Team Telekom sind noch immer nicht absehbar und
greifen zunehmend auf den gesamten deutschen Sport über. Die
Fortsetzung des Engagements der Deutschen Telekom im Radsport
ist nach den Geständnissen ihrer ehemaligen Radprofis Bert Dietz und
Christian Henn keineswegs mehr sicher. Sollte der Radsport nicht
sauber zu bekommen sein, müsse über Konsequenzen nachgedacht werden,
sagte Sponsoringleiter Stephan Althoff am Mittwoch. «Wir haben eine
grundsätzliche Verantwortung für den Radsport und einen Vertrag mit
dem T-Mobile-Team bis 2010», betonte er.
T-Mobile-Teammanager Bob Stapleton kündigte in der «Süddeutschen
Zeitung» (Donnerstag-Ausgabe) für Donnerstag ein Doping-Geständnis
des früheren Telekom-Profis und jetzigen Sportdirektors Rolf Aldag
an. Er wisse, dass sich Aldag «schon in den vergangenen zwei Wochen
mit dem Gedanken getragen hat, sich zu offenbaren. Er wollte es tun
und hat nach einem Weg gesucht, sich umfassend und nachvollziehbar zu
äußern», sagte Stapleton in dem SZ-Interview, das dpa im Wortlaut
vorliegt. Vom Telekom-Nachfolgeteam T-Mobile werden auf einer
Pressekonferenz in Bonn Aussagen zur Zukunft des Radprofi-Rennstalls
erwartet.
«Ich glaube, dass Rolf heute sehr engagiert ist und sehr zu dem
steht, was wir jetzt tun. Es hat eben auch bei ihm Momente der
Schwäche gegeben, und jetzt müssen wir versuchen, dass wir da
rauskommen und mit ihm weitermachen können», antwortete Stapleton auf
eine Frage, ob er enttäuscht sei, dass Aldag ihm gegenüber «das
Doping-Geständnis nicht viel früher gemacht hat». Er hätte offener
mit seiner Vergangenheit umgehen müssen, räumte Stapleton ein.
Dennoch will der Teamchef an seinem Sportdirektor festhalten: «Meine
Absicht ist es, mit Rolf weiter zu arbeiten.» Aldag gehörte 1997 bei
der Tour de France zur Telekom-Mannschaft mit dem siegreichen und
mittlerweile ebenfalls unter Doping-Verdacht stehenden Jan Ullrich.
Der langjährige sportliche Leiter des Telekom-Teams, Walter
Godefroot, beschuldigte Dietz, er habe für sein Doping-Geständnis in
der ARD-Sendung «Beckmann» am Montagabend Geld kassiert. «Dietz ist
bezahlt worden, um das zu sagen», sagte der jetzt beim kasachischen
Astana-Team tätige Belgier der «Berliner Morgenpost». Der
Norddeutsche Rundfunk wies diese Behauptung am Mittwoch zurück. Dietz
habe nur eine «Aufwandsentschädigung» bekommen, wie «sie im Rahmen
einer solchen Sendung branchenüblich ist», hieß es in einer
Stellungnahme.
Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympische Sportbundes
(DOSB), stellte klar, dass keine Mediziner der Uniklinik Freiburg für
die Olympischen Spiele 2008 in Peking nominiert würden, die
möglicherweise in die von Dietz und Henn aufgedeckten Doping-
Praktiken involviert waren oder sind. Dies gelte auch für in anderen
Sportarten tätige Ärzte. «Wir wollen ein Olympia-Team haben, das über
jeden Zweifel erhaben ist. Wenn die Sache bis zur Nominierung nicht
endgültig aufgeklärt ist, werden wir eine Entscheidung treffen, die
wir für richtig halten», sagte Bach.
Dietz hatte zugegeben, während seiner Zeit beim Team Telekom von
1994 bis 1998 ab 1995 regelmäßig auf Empfehlung der Freiburger
Teamärzte Lothar Heinrich und Andreas Schmid EPO genommen zu haben.
Zuvor hatte bereits der ehemalige Telekom-Masseur Jef D'Hont die
beiden Mediziner belastet. Nach dem Team T-Mobile wurden sie auch von
ihrem Arbeitgeber, dem Uniklinikum Freiburg, am Dienstag suspendiert.
Gegen Heinrich und Schmid ermittelt bereits die Staatsanwaltschaft
wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz, wegen
Rezeptbetrugs sowie wegen versuchter Körperverletzung.
Oberstaatsanwalt Wolfgang Maier erklärte am Mittwoch, dass
eventuelle Doping-Straftaten von Heinrich und Schmid möglicherweise
nicht in die Verjährungsfrist von fünf Jahren fallen. Es gebe einen
Anfangsverdacht für Straftaten, die in der Zeit nach 2002 an begangen
worden sein könnten. Der Deutsche Behindertensportverband setzte
indes vorerst die Zusammenarbeit mit Schmid aus. Dagegen hält
Fußball-Zweitligist SC Freiburg an ihm als Mannschaftsarzt fest.
Der Anti-Doping-Kämpfer Werner Franke, der Anzeige gegen die
beiden Ärzte erstattet hatte, geht davon aus, dass mit Hilfe von
Freiburger Sportmedizinern nicht nur Radprofis gedopt worden sind.
«Wir wissen zum Beispiel, dass die zweitversauteste Sportart der
nordische Skisport ist. Und dort haben wir auch Doctores in Freiburg,
die schon mal in Verbindung standen mit komischen Hämoglobinwerten
und so weiter», sagte der Molekularbiologe dem Fernsehsender N24.
Maier erklärte dazu: «Konkrete Anhaltspunkte haben wir derzeit nicht.
Aber sollten sich die im Laufe der Ermittlungen ergeben, wird
selbstverständlich auch in diese Richtung ermittelt werden.»
Derweil forderte der Vorsitzende des Bundestag-Sportausschusses,
Peter Danckert, am Mittwoch von den öffentlich-rechtlichen TV-Sendern
eine Pause in der Radsport-Berichterstattung. «ARD und ZDF, die von
den Gebührenzahlern leben, sollten sich vom Radsport so lange fern
halten, wie nicht der Sport selbst reinen Tisch gemacht hat», sagte
der SPD-Politiker dem Nachrichtensender n-tv.
ARD und ZDF lehnten die Forderung ab. «Jetzt auszusteigen, wäre
das Falscheste, was wir tun können», erklärte ZDF-Chefredakteur
Nikolaus Brender bei einer Anhörung des Bundestags-Sportausschusses
=am Mittwoch in Berlin. «Tauchen in diesem Sommer mehrere aktuelle
Dopingfälle auf, dann werden wir das neu entscheiden. Alles andere
wäre nicht rational.» ARD-Programmdirektor Günter Struve betonte,
dass das Erste seit vorigem Sommer - nach Bekanntwerden der möglichen
Verstrickungen von Jan Ullrich in die Fuentes-Affäre - keine Verträge
mehr mit aktiven Sportlern abschließe, «weil die Gefahren zu groß
werden».
DOSB-Chef Bach unterstützt die Haltung der Sender: «Die
Berichterstattung muss in vollem Umfang stattfinden.» Dabei müsse die
Doping-Problematik allerdings einen angemessenen Platz finden.