Berlin (dpa) - Der sich weiter an sein eigenes Schweige-Gelübde haltende Jan Ullrich muss weitere Attacken ertragen. Jetzt setzte ihn auch IOC-Präsident Jacques Rogge unter Druck.
Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bestätigte, dass der beharrlich schweigende Ullrich seine Olympia-Goldmedaille verlieren könnte, sollte sich herausstellen, dass auch er gedopt hat. «Das ist selbstverständlich möglich», sagte Rogge in einem Interview der belgischen Tageszeitung «Le Soir».
Ullrichs früherer, allgegenwärtiger PR-Chef Jürgen Kindervater sagt im «Spiegel»-Interview, der Zeitpunkt für ein öffentliches Geständnis sei «dramatisch überschritten» und prophezeit dem einstigen Vorzeige-Athleten die «totale Demontage». Kindervater, von 1990 bis 2002 Kommunikations-Direktor der Deutschen Telekom, hatte vor fünf Jahren Ullrichs Untertauchen in Kanada organisiert, nachdem der Olympiasieger in der Aufbau-Phase nach zwei Knie-Operationen positiv auf Amphetamine getestet worden war.
Das olympische Straßen-Rennen 2000 in Sydney wirkte wie eine interne Telekom-Meisterschaft: Ullrich holte vor seinen damaligen Teamkollegen Alexander Winokurow (Kasachstan) und der Wahlschweizer Andreas Klöden - beide gelten als Topfavoriten für die Tour 2007 - Gold. Auf Ullrichs Initiative hatten sich die Drei abgesetzt und ließen ihren Kapitän allein zur Goldmedaille radeln. Vom Straßenrand hatte Telekom-Teamchef Rudy Pevenage, gegen den inzwischen auch die Bonner Staatsanwaltschaft ermittelt, das Kommando zum Angriff gegeben. Im Zeitfahren war der Tour-de-France-Sieger von 1997 vor sieben Jahren Zweiter geworden.
Das IOC hat eine Kommission einberufen, um die Vorgänge im Team Telekom zu untersuchen. «Wir wollen wissen, wann genau gedopt wurde», sagte Rogge. Das dreiköpfige Untersuchungs-Gremium unter Leitung des Schweizer Ruder-Präsidenten Denis Oswald, werde ihre eigenen Möglichkeiten haben, Personen aus dem Umfeld der Olympischen Spiele zu befragen. «Sie wird natürlich eng mit den anderen Kommissionen zusammenarbeiten, die von der Universität Freiburg, dem Bund Deutscher Deutschen Radfahrer und dem Bundes-Innenministerium bereits einberufen wurden.» Oswald hatte der «Berliner Zeitung» erklärt: «Wir haben jeden Spielraum bei den Sanktionen. Wenn es bewiesen ist, dass jemand gedopt war oder irgendwie anders betrogen hat, sehe ich kein Problem bei einer Aberkennung».
Die Geständnisse von Rolf Aldag und Erik Zabel bezeichnete Rogge als «nützlich». «Sie beseitigen eine Menge Zweifel und Fragen.» Dennoch seien derlei Geständnisse von einst bewunderten Athleten sehr enttäuschend. Insgesamt habe das Image des Radsports der 90er Jahre gelitten. «Es gab systematisches Doping in den 90ern mit EPO, aber auch mit Kortison, Anabolika und Wachstumshormonen», sagte Rogge. Es wäre aber ungerecht, alle Ergebnisse dieser Epoche in Frage zu stellen. Der Radsport sei an einem Wendepunkt angelangt.
Jürgen Kindervater von 1990 bis 2002 Kommunikation-Direktor der Deutschen Telekom und in den 90er Jahren die Graue Eminenz im Rad-Team um Ullrich und Erik Zabel erklärte dem «Spiegel», den er 1999 nach Doping-Berichten verklagt hatte: «Die Wahrheit über Ullrichs Vergangenheit fräst sich Stückchen für Stückchen immer weiter in das Bewusstsein der Leute. Und irgendwann endet dieser Weg in der totalen Demontage.»
Neues zum Thema Ullrich und Doping bei Telekom wird von einer Pressekonferenz am 5. Juni Uhr in Gent erwartet. Dort spricht wie in der Vorwoche angekündigt der langjährige Team-Manager Walter Godefroot. Der 63-jährige Belgier wurde in den letzten Wochen vom ehemaligen Betreuer Jef d'Hont, von Ex-Profi Bert Dietz und indirekt auch von Toursieger Bjarne Riis belastet.