St. Anton (dpa) - Bjarne Riis ist gnadenlos - trotz des freundlichen Lächelns. Jan Ullrich muss nach der Meinung seines ehemaligen Lehrmeisters noch viel schwitzen, um die optimale Form für die in einem Monat beginnende Tour de France zu schaffen.
«Natürlich hat Jan auch mich überrascht mit seiner starken Zeitfahr-Leistung von Karlsruhe, aber bis zur Tour müssen bei ihm noch mindestens fünf Kilo runter», sagte der dänische Toursieger von 1996, seit vier Jahren erfolgreicher Teamchef bei CSC. Bei ihm fährt der Berliner Jens Voigt, der trotz leichter Enttäuschung beim Zeitfahren weiter den Gesamtsieg bei der Deutschland-Tour im Visier hat.
Ullrich, dem die letzten fünf harten Trainingswochen in der Schweiz und Frankreich auch an der Silhouette seines Körpers abzulesen sind, wurde zum Auftakt der Deutschland-Tour mit Lob überschüttet. «Sein zweiter Vorname sollte Phönix sein - so wie er immer wiederkommt», meinte Voigt, der aber trotz des offensichtlichen Leistungs-Sprungs des Konkurrenten vom T-Mobile-Team bei seiner Meinung blieb: «Jan ist ein Held, wie er immer fightet, aber die Tour gewinnt Lance Armstrong.»
Gegen die Mäkeleien an seinem Wettkampf-Gewicht hat sich Ullrich ein dickes Fell angelegt. Er begegnet der manchmal berechtigten, teilweise auch überzogenen, aber immer wieder kehrenden Kritik mit Humor. Nach der Erringung des Bergtrikots zum Auftakt in Karlsruhe witzelte er: «Erstaunliche Leistung mit 120 Kilo.» Tatsächlich dürfte er es inzwischen auf weit unter 80 Kilogramm gebracht haben, und er selbst rechnete vor: «Ein paar Gramm müssen noch weg.» Denn er kennt die Skispringer-Formel, die auch für Klassements-Fahrer gilt, die schnell über die Berge wollen: Je leichter, desto besser.
Voigt, der bei Riis fast eine sportliche Renaissance erlebte, in diesem Jahr schon bemerkenswerte Siege einfuhr, in der Weltrangliste im Moment sogar Ullrich hinter sich ließ und zu seiner Topform des Jahres 2001 aufzulaufen scheint, nennt drei Gründe für den Armstrong- Erfolg: «Lance hat seine Eheprobleme gelöst, hatte bisher nicht wie im Vorjahr bei der Dauphiné einen schweren Sturz zu verdauen, und hat aus seiner Leichtsinnigkeit aus dem Vorjahr gelernt. Er wird so stark und motiviert wie lange nicht mehr antreten», meinte Voigt, der Armstrong bei der Georgia-Tour nur knapp unterlag.
Riis, der die von Ullrich benutzte Höhenkammer zur Simulation von Training über 2000 Meter zu seiner aktiven Zeit zum selbstverständlichen Inventar seines Hauses zählte, stellt drei Kandidaten auf, die bei der Tour ans Podium denken: Ivan Basso (Italien), Carlos Sastre (Spanien) und Jörg Jaksche (Ansbach). Riis traut Ullrich in Frankreich zu, «Armstrong zu einem wirklichen Duell zu fordern». Der Ausgang sei für ihn aber klar: «Lance gewinnt wieder.»
Voigt soll bei CSC als Alleinunterhalter glänzen. «Schuster bleib bei deinen Leisten: Ich werde versuchen, die ersten zehn Tage auf den Flachetappen Ausreißversuche zu starten und will dem Team natürlich im Mannschaftszeitfahren helfen», meinte der gebürtige Mecklenburger, der sein Fortkommen bei der Deutschland-Tour von Ullrich abhängig macht: «Mal sehen, was der hier wirklich vorhat. Aber ich rechne für die Gesamtwertung auch mit Hruska, Galdeano und Winokurow», sagte Voigt, der zusammen mit seinem Team-Kollegen Bobby Julich ein »richtiges» Höhen-Trainingslager in Nevada hinter sich hat.