Bad Säckingen (dpa) - Die Karriere von Jens Voigt ist reich an großen Tagen. Den 7. August 2006 wird sich der 34-jährige Radprofi aber rot anstreichen.
Voigt feierte bei der Deutschland-Tour im Ski-Paradies St. Anton auf der vorentscheidenden Etappe seinen zweiten Tagessieg und verteidigte sein Gelbes Trikot auf so unnachahmliche Weise, dass selbst langjährige Wegbegleiter fast sprachlos zurückblieben. «So stark habe ich Jens noch nie gesehen», staunte der um eine Sekunde geschlagene Vorjahressieger Levi Leipheimer, der im Hochgebirge den Mecklenburger normalerweise nicht zu fürchten bräuchte.
Der 1,92 Meter-Riese als verkappter Bergfloh: Im dunklen Tunnel kurz vor dem Ziel hatte Voigt eine kleine Lücke geschlossen und sprintete anschließend mit vor Anstrengung verquollenem Gesicht an dem Amerikaner vorbei. Zehn Minuten später wirkte er schon wieder so frisch, als sei fast nichts gewesen. «So weit ich mich erinnere, habe ich Jens bei einer Bergetappe noch nie so erlebt», sagte Hans-Michael Holczer, der Chef Leipheimers. Voigt: «Am Ende habe ich nur noch gebissen.»
Das Motto einer alten Auto-Werbung trifft auch auf Voigt zu: Er fährt und fährt und fährt. Nach einer Schulter-Operation im Dezember - ein Sturz mit dem Mountainbike war Schuld - lief es im Frühjahr noch nicht wunschgemäß für den CSC-Profi. Trotzdem mühte sich Voigt seit Februar redlich. Im Giro d'Italia war er bereits ein wertvoller Helfer für seinen Kapitän Ivan Basso, der wegen der Verstrickungen in den spanischen Doping-Skandal um den Fortbestand seiner Karriere bangt. Nachdem er den Schock der Basso-Suspendierung zum Start der Tour de France knapp verdaut hatte, platzte bei Voigt der Knoten.
Im Ziel der längsten Etappe in Montélimar feierte er den zweiten Etappensieg seiner Karriere beim Highlight in Frankreich und verhalf Oscar Pereiro ins Gelbe Trikot. Nach der fälligen Disqualifikation des überführten Dopers Floyd Landis kann es der Spanier demnächst nachträglich noch ein Mal als Gesamtsieger in Empfang nehmen. «Ich könnte die gleiche Strecke wieder zurückfahren», hatte Voigt nach seinem Husarenritt über 230 Kilometer bei fast 40 Grad im Ziel in erster Euphorie herausgeprustet. Der Satz des besonders Aufgekratzten hätte auch falsch verstanden werden können.
Auch im Anti-Doping-Kampf setzt der vierfache Familienvater aus Berlin-Charlottenburg auf Attacke. «Doper auf den Scheiterhaufen», forderte Voigt, als bei der Tour die Ausmaße der im Moment aktuellen Affäre immer klarer wurden. Den um überfällige Reformen kämpfenden Funktionären empfahl der Aktivensprecher: Blutwerte aller Fahrer ins Internet und die Abgabe genetischer Fingerabdrücke aller lizenzierten Profis. Die klare Ansprache kam nicht bei allen an. Geharnischte SMS-Mitteilungen und böse Handy-Anrufe prominenter Kollegen waren die Quittung für den Publikumsliebling, der seinen Lebensabend als Caféhaus-Besitzer sieht.
Noch fährt der große Kämpfer, der 2001 und 2005 bei der Tour de France für einen Tag Gelb tragen durfte und bei seinem Debüt 1998 sogar kurz im Bergtrikot fuhr, immer weiter - vielleicht sogar noch bis zur WM im September. Allerdings steht hinter seiner unmittelbaren Zukunft ein kleines Fragezeichen, weil nicht sicher ist, ob sein belastetes Team weiter macht. Vielleicht besteht sogar die Chance, dass Voigt seine Karriere in einem deutschen Team beendet. Das wäre in zehn Profijahren seine erste Verpflichtung in seinem Heimatland.