Leipzig (dpa) - «Täve war unser erster Fritz Walter - oder vielleicht noch etwas mehr.» Diese Charakterisierung von DDR-Sportreporter Heinz-Florian Oertel trifft noch heute zu. Wo immer Gustav-Adolf Schur auftaucht, wird er von begeisterten Menschen Freude strahlend empfangen.
Ob beim Kaffeetrinken in Magdeburg, auf der Aussichtsplattform des Mont Blanc oder im Flugzeug nach Moskau: Schur wird angesprochen und um Autogramme gebeten. Meistens erfüllt es ihn mit Stolz. «Das ist die höchste Ehre, die ein Sportler in seinem Leben bekommen kann. Einfach sagenhaft», sagt die Radsport-Legende, die am 23. Februar seinen 75. Geburtstag feiert, gerührt.
In seiner aktiven Zeit löste der bodenständige Schur wahre Begeisterungsstürme aus. Millionen Menschen säumten die Straßen, wenn der neunmalige DDR-Sportler des Jahres und seine Teamkollegen auf ihren Rennrädern vorbeirauschten. «Die Bürger, die unheimlich zum Sport standen, waren das allerwichtigste für mich. Heute geht es nur noch ums Geld», hadert Schur mit der kommerziellen Entwicklung.
Der tadellose Sportsmann wurde durch seinen unbändigen Kampfeswillen, seine Erfolge, seine einfache und umgängliche Art und seine Prinzipien berühmt. Schon zu Lebzeiten ist Schur, der mit 19 Jahren seine große Radsport-Karriere begann, eine Legende. Zwischen 1950 und 1964 feierte er Erfolge, die im Amateursport einzigartig waren. Als erster ostdeutscher Fahrer gewann der gebürtige Heyrothsberger 1955 die prestigeträchtige Friedensfahrt. Vier Jahre später gelang ihm das erneut.
Im Zenit seines Leistungsvermögens holte Schur Ende der 50er Jahre zwei Mal den Straßenrad-Weltmeistertitel der Amateure (1958 und 1959). Bei Olympia 1956 und 1960 gewann Schur im Mannschaftsfahren Bronze und Silber. Insgesamt stand der sechsfache DDR-Meister 130 Mal auf dem obersten Treppchen.
Unsterblich wurde Täve jedoch, als er bei der Straßen-WM 1960 auf dem Sachsenring aus taktischen Gründen auf seine Siegchance verzichtete und Teamkollege Bernhard Eckstein Gold holte. Schur belegte vor dem Belgier Willy Vandenberghe den zweiten Platz. Der Mythos Täve war geboren. «Das ist das schönste Erlebnis in meiner Karriere gewesen», denkt Schur zurück. Kaum ein Kind im sportbegeisterten Ostteil des Landes, das nicht diese Geschichte kannte. Nicht umsonst wurde der Arbeitersohn aus einfachen Verhältnissen 1990 zum größten DDR-Sportler aller Zeiten gewählt.
Das Rad begleitet den Jubilar noch heute. Ohne seinen Drahtesel würde sich Schur einsam fühlen. «Sitzen ist Gift, wenn ich gesund bleiben will, muss ich mich bewegen», betont Schur, der 100 Jahre alt werden möchte. So «schrubbt» der Sport-Veteran wöchentlich noch immer 70 bis 80 Kilometer auf seiner Straße: der B 1 in Richtung Burg. Sonst ist der frühere Volkskammer- und Bundestagsabgeordnete noch im Gemeinderat von Heyrothsberge aktiv. «Ich möchte mit meinem Namen einen kleinen Beitrag leisten, dass die Menschen vernünftiger denken», sagt der Idealist.
Mit zahlreichen Weggefährten wird der große Kämpfer und faire Sportsmann auf sein Wohl anstoßen. Einer kleinen Feier daheim am Ehrentag folgt zwei Tage später eine große Party in seiner sportlichen Heimat Leipzig. «Ich bin nicht für große Dinge, aber hinter meinem Rücken hat meine Truppe was organisiert. Ich bin gespannt», sagt Schur. Dann wird er wieder tausende Hände schütteln. Zum 70. Geburtstag waren 6000 Menschen zum Gratulieren gekommen. Dieses Mal könnten es noch mehr werden.