Dortmund (rad-net) - Der amtierende Para-Cycling-Weltmeister Hans-Peter Durst verzichtet im Sommer auf die Teilnahme an den Paralympischen Spielen in Tokio. In einem Brief an rad-net teilte der Tricycler seine Entscheidung jetzt mit und ging dabei auf die verschiedenen Gründe ein, die sie beflügelt haben.
«In Abwägung der Argumente für und gegen meine persönliche Teilnahme, nach intensiven Gesprächen mit den Verantwortlichen in meinem Paracycling-Team Germany und vielen guten Gesprächen mit mir sehr wichtigen Menschen aus Sport, Kirche, Freundeskreis, Athleten-Vertretung und Politik ist meine Familie zu der Entscheidung gekommen: ich werde nicht aktiv an den Paralympics in Tokio 2021 teilnehmen», erklärte Durst in dem Statement.
Der T2-Athlet gewann 2016 bei den Paralympics in Rio de Janeiro die Goldmedaille im Straßenrennen und Zeitfahren und sollte auch in Tokio die Wettbewerbe der Rennklasse für Deutschland bestreiten. Insgesamt fünf Jahre hat sich Durst dafür mit seinen Trainern, Therapeuten, Partnern und Sponsoren auf das Event in Japan vorbereitet «am Ende ohne die erhoffte Belohnung», wie der Sportler selbst die Nichtteilnahme bewertete.
Die Entscheidung gegen das Team, das so viel Arbeit in die Vorbereitung gesteckt habe, sei in dem Prozess die schwierigste gewesen, doch letztendlich habe es drei stärkere Gründe gegen die Teilnahme an den Paralympischen Wettkämpfe in Tokio gegeben. Dabei sprach Durst zunächst die aktuelle Gesundheitslage der Weltbevölkerung an. Während Japan seit Monaten unter Notstandverordnungen, steigenden Infektionszahlen und überfüllten Krankenhäusern lebe, grassierten in Indien, Nepal und weiten Teilen Afrikas immer neue Mutanten, die den Rückgang der Corona-Toten erschwerten. «Trotz dieser mehr als angespannten Lage verlangt das IOC zur Durchführung der Spiele mehr als 10.000 medizinische Mitarbeiter – Krankenpfleger, Sport-Ärzte, medizinische Fachkräfte. Dazu wertvolle Ressourcen wie medizinische Geräte und Einrichtungen», erklärte Durst das Paradoxon der Situation. Erst kürzlich hätten rund 500.000 Menschen eine Petition unterschrieben, die Olympischen und Paralympischen Spiele abzusagen und selbst der Premierminister von Japan, Yoshihide Suga, habe erklärt, dass die Spiele hinter der Gesundheit der Bevölkerung nur zweitrangig seien.
Als zweiten Grund für die Entscheidung gegen die Teilnahme in Tokio brachte Durst den Respekt vor dem Gastgeberland an. Studien zufolge seien rund 80 Prozent der japanischen Bevölkerung aus gegebenen Gründen gegen die Durchführung eines solchen Großereignisses in ihrem Land, ein Stimmungsbild, dass man laut des vielfachen Weltmeisters nicht ignorieren sollte. Zudem rate sogar der deutsche und europäische Ethikrat zu einer Absage der Wettkämpfe in Tokio. Auch die geplanten Impfregelungen, die zurzeit potenzielle Teilnehmer der Spiele priorisieren, seien der Situation nicht angepasst, vor allem vor dem Hintergrund, dass nur rund zwei Prozent der japanischen Bevölkerung geimpft seien und den freiwilligen Helfern kein Angebot gemacht würde: «Die Lage in Japan ist mehr als besorgniserregend – ein Ende leider nicht in Sicht – das Virus wütet weiter, ungebremst und mit voller Wucht. Die 10.000 Volunteers werden nicht geimpft, erhalten wegen der erwartet hohen Temperaturen ab Juli keine FFP2-Masken, nur 3-lagige Masken im olympischen Blau. Ich möchte den Willen der japanischen Bevölkerung respektieren.»
Ausschlaggebend sei zuletzt der Solidargedanke mit Freunden, Familie und Mitbürgern gewesen. Durst erklärt, dass viele seiner Bekannten aufgrund der Pandemie um ihre Existenz fürchten müssten und auf die steuerfinanzierten Auffangschirme der Regierung angewiesen seien: «Da ist mir nicht nach fröhlichen Spielen ohne meine Familie, ohne meine Freunde, ohne die mich immer begleitenden Partner und Förderer. [...] Meine Sportkameradinnen und -kameraden der Bundeswehr wurden und werden weiterhin entsandt für Einsätze in Corona-Brennpunkten – unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit – aktuell in Indien, vorab in Portugal.»
Mit seiner Absage rund 100 Tage vor den Paralympics in Tokio hat Durst, der mehrmals betont, dass dies nicht das Ende seiner sportlichen Laufbahn bedeute, nun den Platz für einen möglichen Nachfolger frühzeitig frei gemacht. Der 62-Jährige will sich nun auf die anstehenden Para-Cycling Europameisterschaften in Oberösterreich und die Weltmeisterschaften in Portugal vorbereiten. Der Olympische Traum könnte dann 2024 noch einmal in Paris zur Wirklichkeit des Tricyclers werden, «mit der Hoffnung, dass die Welt Corona und die Pandemie gesundheitlich und ökonomisch überstanden hat.»