Marseille (dpa) - Durch den Tour-Ausstieg von ARD und ZDF hat der Radsport in Deutschland vorerst die wichtigste öffentliche Bühne verloren. Damit gerät nach dem neuen Doping-Fall um Patrik Sinkewitz auch die Finanzierung der ProTour-Teams T-Mobile und Gerolsteiner in Gefahr.
Nach ARD-Informationen sollen weitere positive Doping-Fälle vor der Veröffentlichung stehen. Die Tour-Organisation kritisierte den Fernseh-Boykott in Deutschland. Damit würden die Falschen bestraft. Bereits die zehnte Etappe, die der Franzose Cedric Vasseur in Marseille gewann - Jens Voigt wurde Fünfter - wurde nicht mehr live übertragen.
Nach Bekanntwerden der positiven A-Probe des 26-jährigen T-Mobile-Profis Sinkewitz hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten umgehend ein Exempel statuiert. «Wir haben entschieden, bis zur Klärung des Falles aus der Tour-Berichterstattung auszusteigen», sagte ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender nach Beratungen mit ARD-Programmdirektor Günter Struve. Der Präsident der Tour-Organisation ASO, Patrice Clerc, nannte die Entscheidung «paradox». Leidtragende seien die Zuschauer sowie jene Fahrer und Teams, die unbelastet seien. «Die Medien haben die Aufgabe zu berichten und den Kampf gegen Doping zu begleiten.» Daher sei die Entscheidung, die Live-Berichterstattung einzustellen, «paradox», sagte der Präsident der Organisation Amaury Sports (ASO). Das belgische und französische Fernsehen berichten auch nach dem jüngsten Dopingfall weiter über die Tour.
Der Boykott dürfte die Tour überdauern, weil das Ergebnis der B-Probe erst knapp vor Ende der Frankreich-Rundfahrt oder kurz danach vorliegen dürfte. Der Privatsender Eurosport, der bereits zu Tour-Beginn überdurchschnittliche Zuschauer-Quoten hatte, will weiter übertragen. Noch am Wochenende zuvor hatten bis zu 3,28 Millionen Zuschauer die zweite Alpen-Etappe in der ARD verfolgt - bis dahin Tour-Rekord.
Das Team T-Mobile, das im Vorjahr an der Affäre Jan Ullrich fast zerbrach, kann auch mit einem offensiven Anti-Doping-Programm nicht verhindern, dass Betrug die eigene Mannschaft belastet. «Wir haben Sinkewitz sofort suspendiert und werden ihm kündigen, wenn die B- Probe positiv ist», erklärte Team-Manager Bob Stapleton. Sein Team hatte bereits vor der Tour durchgegriffen und den ebenfalls nach eigenen Ermittlungen auffällig gewordenen Profi Sergej Gontschar erst vom Giro d'Italia ausgeschlossen und dann entlassen.
«Das ist ein Tiefschlag. Wir müssen uns jetzt über unser Sponsoring Gedanken machen und setzen uns nach der Tour zusammen. Durch die Entscheidung von ARD und ZDF liegt die Messlatte hoch und daran müssen sie sich in Zukunft bei allem messen lassen», sagte T- Mobile-Kommunikationsdirektor Christian Frommert in Anspielung auf künftige Sport-Übertragungen wie Olympia oder die Fußball-WM. Sponsor T-Mobile zahlt jährlich für sein Radteam geschätzt 13 Millionen Euro.
«Ich gehe davon aus, dass unserer Sponsor sein Engagement über 2008 hinaus verlängert», sagte Hans-Michael Holczer, der Manager von Gerolsteiner. Vertreter des Mineralwasser-Herstellers hatten im Anschluss an die dritte Tour-Etappe in Compiègne erklärt, über ihr weiteres Engagement Ende August zu entscheiden. «Ich habe kein Verständnis dafür, dass jemand das Team und die Arbeitsplätze so akut gefährdet», sagte der neue deutsche Rad-Liebling Linus Gerdemann.
Sinkewitz selbst reagierte fassungslos. «Ich? Wieso ich? Davon weiß ich nichts. Das kann nicht sein», sagte er in einem Hamburger Unfallkrankenhaus, in dem er am Nachmittag operiert werden sollte. Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) hatte am 18. Juli bekannt gegeben, dass bei einer Trainingskontrolle am 8. Juni ein erhöhter Testosteron-Wert festgestellt worden sei.
Der 26-jährige Sinkewitz, der 2006 auf Druck seines Teams die Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Mediziner Michele Ferrari beenden musste, war nach der achten Tour-Etappe mit einem Zuschauer zusammengestoßen und hatte sich schwere Verletzungen im Gesicht zugezogen. Sein Sportdirektor Rolf Aldag, ebenfalls ein geständiger Doping-Sünder, riet ihm, sich einen Anwalt zu suchen. «Ich kann mir vorstellen, dass von Seiten T-Mobiles auch Regressmöglichkeiten bestehen könnten», sagte der jetzige Teamchef.
Der bei Sinkewitz festgestellte Testosteronwert lag bei 24:1 - mehr als sechs Mal über dem Grenzwert von 4:1. «Bei T-Mobile werden keine teaminternen Tests auf Testosteron-Doping vorgenommen», erklärte Stapleton. «Wir tun alles, was wir können, aber wir können nicht rund um die Uhr kontrollieren», sagte der Amerikaner.
Sinkewitz sei bei einem Tour-Trainingslager seines Teams in den Pyrenäen zusammen mit Gerdemann, Marcus Burghardt, Michael Rogers und Kim Kirchen getestet worden, teilte Teamsprecher Stefan Wagner mit. Das Unternehmen hatte nach den Doping-Geständnissen seiner Ex-Fahrer Erik Zabel, Udo Bölts, Rolf Aldag, Brian Holm, Christian Henn und Jörg Jaksche im Mai bekräftigt, das Engagement wie angekündigt bis 2010 fortsetzen zu wollen. Zusammen mit CSC installierte das T- Mobile-Team unter dem neuen Management das wahrscheinlich effektivste Anti-Doping-Programm aller 20 ProTour-Teams.
Sollte auch die B-Probe von Sinkewitz positiv sein, riskiert der Radprofi aus Fulda die Zahlung eines Jahres-Gehalts im hohen sechsstelligen Bereich an den Weltverband UCI. Mit seiner Unterschrift unter eine UCI-Verpflichtungs-Erklärung, die an den Tour-Start gekoppelt war, hatte sich der Profi dazu bereit erklärt.
Das ARD-Politikmagazin Kontraste hat nach eigenen Angaben den Rennstall T-Mobile bereits am 30. Mai dieses Jahres schriftlich über Auffälligkeiten bei dem Fahrer Patrik Sinkewitz informiert. Laut Unterlagen der Antidopingagentur NADA, die Kontraste vorliegen, hat Sinkewitz mehrfach seine Anwesenheitspflicht gegenüber den Dopingkontrolleuren verletzt. Drei Mal trafen NADA-Kontrolleure Sinkewitz während der Trainingsphase schon im Frühjahr 2006 nicht an und erstellten so genannte «missed test»-Protokolle.
Der Pressesprecher von T-Mobile, Christian Frommert, habe am 30. Mai dem Magazin Kontraste geantwortet: «Rolf Aldag wird P. Sinkewitz anrufen.» Das Ergebnis des Gespräches von T-Mobile-Sportdirektor Rolf Aldag wurde Kontraste telefonisch mitgeteilt: Weil die NADA die Formalität, Patrik Sinkewitz zu informieren, nicht beachtet hätte, hätte man die Sache nicht weiter verfolgt.