Osimo (dpa) - Diesen Zug kannte man an Chris Froome noch nicht: Übersteigerten Optimismus.
«Es wird besser hier von Tag zu Tag. Ich bin optimistisch und gebe die Hoffnung keinesfalls auf», sagte der Brite, nachdem er im hügligen Finale der 11. Etappe von Osimo erneut 40 Sekunden auf die Konkurrenz verloren hatte. Vor dem Start der 12. Etappe hatte er 3:20 Minuten Rückstand auf seinen Landsmann Simon Yates. Es wird besser von Tag zu Tag? Er kommt gut ins Rennen? Alles Durchhalteparolen.
Der Dominator der Tour de France fährt beim Giro d'Italia seiner Konkurrenz dauerhaft hinterher. Das ist die Realität. Zum Rückstand beim Prolog in Jerusalem kamen Verluste von 26 Sekunden auf dem Ätna und gar mehr als eine Minute auf dem Gran Sasso. Das waren die langen, schweren Berge. Bei den kurzen und knackigen Anstiegen verlor er ebenfalls: 17 Sekunden in Caltagirone und zuletzt in Osimo.
«Das ist nicht der Froome-Stil», musste auch dessen sportlicher Leiter Nicolas Portal zugeben. Der Franzose, selbst ein früherer Rennfahrer, führt die überraschend schlechte Performance seines Schützlings auf zwei Faktoren zurück: Die Stürze und die Vorbereitung, die die Topform beim vierfachen Toursieger erst für Samstag, für den Ritt auf den Zoncolan, vorsieht. Kein Wort von der mentalen Dauerbelastung der weiter schwelenden Salbutamol-Affäre, die in eine Sperre münden könnte.
«Die beiden Stürze hatten zwar keine schweren Verletzungen zur Folge. Aber es ist bei ihm wie mit einem Formel-1-Boliden. Von außen sieht man kaum Schäden, der Rahmen hat nach einer Minikollision aber dennoch etwas abbekommen. Und das kostet Sekunden, Runde für Runde», sagte Portal der Deutschen Presse-Agentur. «Diese dünnen, leichtgewichtigen Burschen haben sehr fragile Körper. Da kann es eine Woche dauern, bis das Trauma des Aufschlags kompensiert ist.»
Ohnehin haben Froome und seine Entourage geplant, die Top-Form erst Ende der zweiten Woche zu erreichen. Dieser Formanstieg wird wohl auch kommen. Das ist der Grund für Froomes Optimismus. Nur kommt der Anstieg von einer tieferen Basis aus als erwartet. Der umstrittene Brite muss daher wohl auf den eigenen Plan C umschwenken. Am Ruhetag hatte er versichert: «Ich werde den Giro nicht vorzeitig verlassen und mein Bestes geben, egal, ob dies für Platz 2, Platz 1 oder Platz 20 reicht.» Plätze auf dem Podium scheinen unrealistisch, Rang 20 dagegen scheint machbar.
Das ist zu wenig für einen wie Froome. Die große Frage ist daher, wie lange er überhaupt noch beim Giro bleibt. «Aufgeben ist keine Option», sagte er zwar. Der 32-Jährige begründete im Hinblick auf seinen Double-Versuch aus Giro und Tour, an dem zuletzt 2015 Alberto Contador scheiterte, auch den Sinn eines Bleibens: «Es ist gut, dieses Rennen hier in die Beine zu bekommen.» Eine Gefahr für die Tourvorbereitung durch ein weiteres Hochbelasten des lädierten Körpers beim Giro schloss auch Betreuer Portal aus.
Aber realistisch ist, dass Froome bis zum Zeitfahren am Dienstag noch dabei bleibt und - abhängig von den Ergebnissen und den Reaktionen seines Körpers dort - eine Entscheidung über die letzte Woche fällt. Sein historischer Rivale Contador sieht ihn bereits jetzt chancenlos. «Er hat immer Zeit verloren, nicht nur auf ein, zwei Fahrer, sondern auf alle Mitfavoriten», sagte Contador dem Sender OA Sport. Froome, der Hinterherfahrer - ein inzwischen gängiges Bild beim Giro.
Dass es noch schlimmer kommen kann, weiß er selbst. Bei seiner letzten Giroteilnahme vor acht Jahren wurde der Brite vom Rennen ausgeschlossen, weil er sich, erschöpft wie er war, von einem Polizeimotorrad hoch zum Mortirolo ziehen ließ.