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Bradley Wiggins hatte immer davon geträumt die Tour de France zu gewinnen. Foto: Yorick Jansens
22.07.2012 17:32
«Mr. Cool» Wiggins am Tour-Ziel

Paris (dpa) - «Als Junge aus Kilburn wird man entweder Postbote, Milchmann oder arbeitet im Wettbüro», meinte Bradley Wiggins Ende Juni, einen Tag vor Beginn der 99. Tour de France. Drei Wochen später schreibt der Schlacks aus dem Nordosten Londons in Paris Geschichte.

Er ist erster britischer Triumphator bei der wichtigsten Radrundfahrt der Welt. «Das haut einen schon um», meint Wiggins, der in seinem Leben oft kurz davor war, den Halt zu verlieren, nach sportlichen Pleiten, Verletzungen, Alkoholproblemen. Im Juli 2012 schwang sich der 32-Jährige dann zu höchsten Ehren auf. «Ist Wiggins der Größte überhaupt?», fragte etwa «The Times on Sunday» vielsagend.

Eine Einordnung in die Historie braucht Zeit, vor allem im Sport, und erst Recht im Metier Radsport, das schon so viele Superstars im Nachhinein als Betrüger entlarvte. Dennoch kommt man bei «Mr. Cool» Wiggins nicht umhin, ihn mit vergangenen Größen zu vergleichen.

Dominant und abgeklärt wie einst Miguel Indurain - dessen Poster Wiggins im Kinderzimmer an die Wand pinnte - bewältigte er Zeitfahren und Bergetappen. Schlagfertig, witzig und eloquent wie Lance Armstrong meisterte er Pressetermine, in denen das Dauerthema Doping den meisten Platz einnahm. «Der Radsport hat sich verändert», meint der Engländer, der gerne das Symbol des Wandels wäre.

In seiner Vita hat Wiggins schon verdeutlicht, wie man sich gegen sportliche und private Widerstände durchsetzen kann. Als Sohn eines australischen Bahnfahrers wurde er 1980 in Gent in Belgien geboren, 1982 zog er mit der Mutter nach London, in den Problembezirk Kilburn. «Ich wollte nicht zum Raucher werden, keine Autos knacken und Radios klauen», erzählte der Einzelgänger, der sich nicht für Fußball und Gary Lineker, sondern für Radsport und Miguel Indurain interessierte. Sein Vater hatte die Familie früh verlassen und war 2008 unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Wiggins' vor zwei Jahren verstorbener Großvater trat an dessen Stelle.

Die sportliche Laufbahn begann auf der Bahn und auch die ersten großen Erfolge feierte er im Oval. 2004 holte Wiggins olympisches Gold in der Einzelverfolgung, verteidigte den Titel vier Jahre später und triumphierte darüber hinaus mit der Mannschaft. Dass er in Peking doppelt jubeln durfte, hatte er seiner Frau Catherine und den Kindern zu verdanken. Nach 2004 hatte Wiggins zu trinken begonnen, Teamkollegen in jener Zeit nannten ihn «Hooligan». Wegen seiner Familie hörte er auf. Je ein «B» tätowierte er sich auf die Daumen, für Sohn Ben und Tochter Bella.

Im Gegensatz zu früheren Tour-Siegern wie Alberto Contador oder Cadel Evans ist Wiggins geradezu ein Musterbeispiel an Spontaneität und Witz. Bei Pressekonferenzen hat er dank seiner unkomplizierten Art die Lacher zumeist auf seiner Seite. Entschlossenheit und Ehrgeiz tut dies keinen Abbruch: Nach Peking hungerte sich der 1,90 Meter große Athlet auf rund 72 Kilogramm hinunter, um auch bei den schweren Kletterpartien der Tour vorne mitfahren zu können. Die «L'Équipe» betitelte ein Porträt jüngst mit: «Der Englische Patient».

Für den sportlichen Erfolg bringt Wiggins Opfer, isst nur das, was Teamärzte und -köche ihm erlauben, achtet minutiös auf sein Training. Dafür sehnt er sich nach Anerkennung, vor allem in England mit all diesen Möchtegern-Stars, «die berühmt sind, ohne etwas geleistet zu haben. Es ist schön, respektiert zu werden für etwas, in dem man gut ist, und das vielen etwas bedeutet».

Den außerordentlichen Radsport-Boom haben die Briten rechtzeitig vor Olympia Wiggins zu verdanken - neben Sprinter Mark Cavendish der große heimische Medaillenkandidat in London. «Am Sonntag beginnt die Vorbereitung auf Olympia», verkündete Wiggins bereits.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hatte er seine Straßenkarriere Anfang des Jahrtausends begonnen. Bis 2007 fuhr er in französischen Teams, wo er auch die Sprache des Tour-Landes lernte. Als er 2009 Gesamt-Vierter wurde, avancierte er zur Rad-Hoffnung der Briten, kassierte ein Jahr später bei seinem Debüt für das Team Sky aber als 23. eine Schlappe.

2011 zerplatzten seine Tour-Träume auf dem Asphalt bei Chateauroux, wo er sich bei einem Sturz in der ersten Woche das Schlüsselbein brach. «Man braucht solche Enttäuschungen, um ein besserer Sportler zu werden», findet Wiggins. «Entweder du wirst stärker, oder du gehst daran zugrunde.»


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