Lons-le-Saunier (dpa) - Der «Kannibale» Lance Armstrong hatte keinen Appetit. Eine sechsköpfige Ausreißergruppe profitierte auf der 18. Etappe der Tour de France über 166,5 km von Annemasse nach Lons-le-Saunier vom Desinteresse der Armstrong-Mannschaft, das Tempo zu forcieren.
Juan-Miguel Mercado aus Spanien hatte keine Mühe, sich im Sprint vor seinem Landsmann Vicente Garcia Acosta den Tagessieg zu holen. Beide hatten sich 15 Km vor dem Ziel von vier Mitausreißern abgesetzt. Das Hauptfeld mit Armstrong, Basso, Klöden und Ullrich erreichte das Ziel 11:30 Minuten später. Der Norweger Thor Hushovd spurtete auf Rang sieben, neunter wurde Danilo Hondo, 15. Erik Zabel, der in Paris keine Chance mehr auf das Grüne Trikot hat.
Für einen Eklat hatte Armstrong zu Beginn des Rennens gesorgt, als er persönlich einer achtköpfigen Verfolgergruppe nachstieg, um Filippo Simeoni zu stoppen. Der Texaner, mit Simeoni im Rechtstreit, seit der Italiener Armstrong des Dopings beschuldigte, zwang den Domina-Vacanze-Profi, sein Tempo zu drosseln, damit ihn das Feld wieder einholte. Armstrong redete auf die anderen Fahrer der Spitzengruppe ein, Simeoni zurückzubeordern, andernfalls hätte die US-Postal-Mannschaft die gesamte Attacke unterbunden. «Simeoni schadet dem Ruf des Radsports. Die anderen Fahrer waren einverstanden», sagte Armstrong nach dem Rennen zu seiner sehr umstrittenen Aktion. Der Italiener hatte während der Tour schon mehrmals vergeblich versucht, auszureißen.
24 Stunden vor dem 55 km langen Einzelzeitfahren in Besancon änderte sich im Gesamtklassements nichts: Armstrong führt weiter souverän mit 4:09 Minuten vor dem Italiener Ivan Basso vom CSC-Team und 5:11 Minuten vor Andreas Klöden von T-Mobile, der am Vortag in einem Fotofinish seinen ersten Tour-Etappensieg verpasst hatte. Jan Ullrich hat mit weiter 8:08 Minuten Rückstand auf Armstrong den Etappensieg beim Zeitfahren und wenigstens Rang drei am Sonntag in Paris im Visier. «Das war eine gute Vorbereitung für morgen, weil es ein bisschen ruhiger als bisher lief», sagte Ullrich nach dem Rennen.
Acht Ausreißer, zu denen zu Beginn auch Ronny Scholz gehörte, bestimmten weitgehend das Geschehen. Der Tour-Neuling vom Team Gerolsteiner fiel nach einem Defekt zurück. Die Spitzengruppe schmolz auf sechs Fahrer zusammen. Sie hatte in erster Linie von der Müdigkeit und der Inaktivität der Verfolger profitiert. Nach den anstrengenden Alpen-Etappen und vor dem Kampf gegen die Uhr in Besancon hatten sich die Spitzenfahrer Schonung auferlegt.
Ein sicherer Platz auf dem Podium in Paris durch Andreas Klöden und die überraschende Spitzenposition in der Mannschaftswertung vor US-Postal steht bisher auf der Haben-Seite des T-Mobile-Kontos bei dieser Tour: Gemessen an den hohen Ansprüchen eines Jan Ullrich, der seinen zweiten Toursieg nach 1997 perfekt machen wollte und in der Endabrechnung womöglich nicht unter die ersten Drei kommt, ist das vielleicht keine überragende Bilanz für die verwöhnten Bonner.
Trotzdem zog Teamchef Mario Kummer vor dem Zeitfahren in Besancon ein positives Fazit. «wir können zufrieden sein. Unser Team hat sich kämpferisch großartig geschlagen. Jan war zu Beginn krank, hat nie aufgegeben und wird jetzt immer stärker. Vielleicht schafft er im Zeitfahren, in dem er auf jeden Fall stärker als Basso ist, noch den Sprung aufs Treppchen», meinte Kummer, der von der starken Leistung Klödens «sehr überrascht» ist: «Das hatte ich vor der Tour nicht erwartet».
Die Tour-Begleiter interessiert zur Zeit am meisten, was der mutmaßlich sechsfache Toursieger im kommenden Jahr vorhat. Die Chancen, dass er auch 2005 dabei ist, stünden «Fifty-Fifty» ließ sein Sprecher Jörg Müller wissen. Die «Herald Tribune» spekulierte vom bevorstehenden Ende seiner Tour-Karriere. Der 32-jährige Armstrong erklärte am Freitag, er werde noch einmal zur Tour zurückkehren, aber vielleicht nicht im nächsten Jahr.
«Er fährt weiter - das steht fest. Aber wir haben weder mit Lance noch mit unserem neuen Sponsor Discovery Channel, mit dem wir mindestens drei, vielleicht aber auch fünf Jahre zusammen arbeiten werden, ein Rennprogramm für 2005 ausgearbeitet», sagte der belgische US-Postal-Manager Johan Bruyneel.