London (dpa) - Der Kampf gegen den Schmerz hat sich gelohnt, die wochenlange Quälerei war nicht umsonst. Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin, seit dem Bruch des Kahnbeins in der linken Hand stark beeinträchtigt, holte sich in seiner Spezialdisziplin sensationell die olympische Silbermedaille.
Der 27-jährige Wahlschweizer musste sich in London nur dem überragenden britischen Tour-de-France-Gewinner Bradley Wiggins beugen, der am Ende rund 40 Sekunden Vorsprung hatte. Bronze ging an seinen Teamkollegen Christopher Froome. Der zweite deutsche Starter, Ex-Weltmeister Bert Grabsch, wurde Achter.
«Ich bin jetzt noch ganz sprachlos. Das ist eine Leistung, vor der man nur den Hut ziehen kann. Nach den ganzen Verletzungen in dieser Saison ist dies eine grandiose Vorstellung gewesen», sagte DOSB-Präsident Thomas Bach begeistert. Der deutsche Teamchef Jan Schaffrath schloss sich an: «Tony ist in der Form seines Lebens. Nach allem, was in der Saison vorgefallen ist, war seine Leistung fantastisch», sagte Schaffrath.
«Das zeigt, was wir für hervorragende Athleten haben», freute sich Verbandspräsident Rudolf Scharping mit Martin und Judith Arndt, die sich zuvor ebenfalls Silber gesichert hatte. Damit entschädigten die beiden Zeitfahr-Spezialisten die deutschen Rad-Fans, die nach dem Straßenrennen ohne Medaillen enttäuscht waren. Im Ziel setzte sich Martin völlig erschöpft erst einmal in den Schatten der Streckenbegrenzung - genau wie nach seinem ersten Tour-Etappensieg 2011 in Grenoble. Neben ihm ruhte sich kurz Wiggins aus, bevor seine unendliche Gratulationscour begann.
Die Bühne vor dem königlichen Hampton Court Palace hatte dem ersten britischen Tour-de-France-Sieger der Sport-Geschichte gehört: Wiggins sicherte sich Gold in einer Triumphfahrt durch das dichte Spalier Hunderttausender Zuschauer. Der Brite schwang sich mit seinem Sieg in 50:39 Minuten über 44 Kilometer zum erfolgreichsten Olympia-Starter seines Landes auf. Mit insgesamt sieben Medaillen überflügelte er Ruderer Sir Steve Redgrave.
Die Startnummer zwei täuschte - Wiggins war im Hampton Court unumstritten die Nummer eins. Er verzückte seine Landsleute nach seiner Triumphfahrt über die Champs Elysées vor zehn Tagen erneut.
Der 32-jährige Brite ließ auch Fabian Cancellara auf Rang sieben keine Chance. Der Schweizer Olympiasieger der Spiele von Peking ging nach seinem Sturz im Straßenrennen ähnlich gehandicapt wie Martin ins Rennen über den fast schnurgeraden Parcours, der nur wenige Schwierigkeiten aufwies. Er war auf die im April nach einem vierfachen Schlüsselbeinbruch operierte Schulter gestürzt und krümmte sich am Mittwoch nach dem Rennen schmerzverzerrt auf dem Asphalt.
Die Goldmedaille von Wiggins ließ auch andere britische Sportlern nicht kalt. Rad-Sprinter Mark Cavendish twitterte: «Als ob es nicht historisch genug wäre, der erste britische Tour-de-France-Gewinner zu sein! @bradwiggins hat eben seine siebte olympische Medaille gewonnen. GOLD!». Versehen war die Botschaft zudem mit dem Schlagwort «proud» - Stolz.
Manche der Zuschauer hatten sich zum Spaß Koteletten aus Papier an die Wangen geklebt - die beiden britischen Boulevard-Zeitungen «Sun» und «Mirror» hatten sie am Mittwoch zum Ausschneiden im Angebot. Sie sollten an den markanten Gesichtsschmuck von Wiggins erinnern. Der Olympiasieger schüttelte vor der Siegerehrung vor dem Palast Heinrichs des VIII. immer wieder ungläubig den Kopf und winkte seinen Fans zu. Dann stieg er aufs oberste Treppchen und war am Ziel seiner sportlichen Träume. Olympia- und Toursieger - mehr geht nicht.