Berlin (dpa) - Obwohl Jan Ullrich noch fest auf dem T-Mobile-Thron sitzt, scheint die Erbfolge schon geregelt. Die Anwärter für die «Zeit danach» stehen in den Startlöchern.
Teamkollege und Ullrich-Freund Andreas Klöden (30) meldete zum Jahresbeginn im Trainingslager in Mallorca Ansprüche auf die Pole-Position an - für den Fall, dass Ullrich 2007 nicht mehr im Sattel sitzt. Klöden startet, vor zwei Jahren Tour-Zweiter hinter Lance Armstrong, beim Grand Prix Chiasso im Tessin in die Saison. T- Mobile-Neuling Linus Gerdemann (22), im Vorjahr von seinem bisherigen Teamchef Bjarne Riis als das «größte deutsche Talent nach Ullrich» gepriesen, hält sich für die Zeit nach Klöden bereit. Er hat die ersten Wettkampf-Kilometer 2006 bereits in den Beinen.
In etwa auf dem gleichen sportlichen Niveau wie Gerdemann bewegen sich die weiteren, inländischen Hoffnungsträger für die großen Touren, Markus Fothen (23/Gerolsteiner) und Patrik Sinkewitz (25/T-Mobile). Zuversicht kommt von höchster Stelle. «Um den deutschen Radsport ist mir nicht bange, wenn Ullrich und Zabel nicht mehr fahren sollten», sagte Verbands-Chef Rudolf Scharping.
«Wohl jeder Radprofi träumt vom Toursieg. Ich natürlich auch. Dass ich ganz vorne mitfahren kann, weiß ich vor allem seit vergangenem Jahr, in dem ich trotz des verpatzten Frühjahrs bis zu meinem Ausstieg nach meinem Sturz auf der 17. Etappe immer mit den Besten fuhr. Ich bin bereit für die Nummer eins», sagte Klöden auf Mallorca. Er ließ aber kaum einen Zweifel daran aufkommen, dass er sich in diesem Jahr noch voll in den Dienst Ullrichs («120 Prozent für Jan») stellen wird. In zwei Trainingslagern mit Ullrich in Südafrika sei er mit seinem Formaufbau «ein großes Stück weiter gekommen», sagte Klöden vor seinem Saison-Start.
Der zierliche Lausitzer will sich bei der Tour bereit halten, um notfalls einspringen zu können, wie 2004, als Ullrich in Frankreich schwächelte und Klöden freie Fahrt auf Rang zwei gewährte. Die Frage nach dem kommenden Toursieger beantwortete der Wahl-Schweizer aus Cottbus vieldeutig: «Ein T-Mobile-Fahrer wird's». Wie bei Ullrich («ich entscheide nach der Tour, wie es weitergeht») läuft auch Klödens Vertrag Ende des Jahres aus. Sollte der T-Mobile-Kapitän den Chefsessel weiter besetzt halten, könnte Klöden auch Gerolsteiner Offerten erhören, um Tour-Patron im eigenem Team zu werden.
Gerdemann hat noch Zeit. Für die Saison 2006 verordnete sich der Münsteraner, der große Ähnlichkeit mit Skispringer Sven Hannawald hat, weitere Profi-Lehrzeit. «Ich will dazulernen und mich weiter verbessern», sagte der Westfale, der in seinem ersten Profijahr mit einem Etappensieg bei der Tour de Suisse und einigen couragierten Alleingängen von sich reden machte. Etwa zum Ende seines T-Mobile-Vertrages 2008 hat Gerdemann für sich Top-Niveau hochgerechnet. Als zweite große Rundfahrt nach der Vuelta 2004 hat er sich in diesem Jahr den Giro d'Italia vorgenommen. Seine Gesellenprüfung soll bei der Tour de France 2007 folgen, vielleicht als Edelhelfer des Siegaspiranten Andreas Klöden.