Brest (dpa) - Als Chris Froome im Hafen von Brest seinen großen Auftritt bekam, blieb André Greipel nur eine Nebenrolle.
Der deutsche Sprintstar hielt die Rückkehr des viermaligen Tour-Siegers auf die größte aller Radsport-Bühnen zwei Jahre nach seinem furchtbaren Sturz sogar mit einer kleinen Kamera fest. «Die ganze Zeit war es meine Motivation, wieder bei der Tour am Start zu stehen. Davon habe ich geträumt», sagte der von den Fans in der Bretagne gefeierte Froome. Und just in diesem Moment - das kitschige Drehbuch wollte es wohl so - kam an diesem überwiegend grauen Nachmittag im Westen Frankreichs sogar die Sonne hervor.
Der warme Applaus vor dem Start der 108. Tour de France am Samstag wird aber weder Froome noch Greipel darüber hinwegtäuschen, was sie in den kommenden drei Wochen erwartet. Verdammt harte Arbeit, an manchen Tagen wohl über die berühmte Schmerzgrenze hinaus. «Man wird mich öfter beim Flaschen holen sehen», sagte Froome und stellte gleich seine Rolle klar. Ein Anführer ist der 36-Jährige noch nicht wieder, nachdem er sich im Juni 2019 bei der Dauphiné-Rundfahrt zahlreiche schwere Knochenbrüche zugezogen hatte.
Obwohl sie sportlich nicht mehr in der absoluten Weltspitze sind, sind die Altstars Froome und Greipel natürlich die Aushängeschilder des Teams Israel Start-Up Nation. Insbesondere die Werbewirksamkeit des Briten lässt sich die Mannschaft angeblich ein Jahressalär von stattlichen fünf Millionen Euro kosten. Leistung in Form von Resultaten gab es von Froome bisher nicht. Man wird allerdings nicht müde, die Geduld mit dem Briten zu betonen.
Etwas anders ist die Lage bei Greipel. Der gebürtige Rostocker hatte sich im vergangenen Jahr eigentlich schon von der Tour verabschiedet, sollte in diesem Jahr noch einmal beim Giro starten. Als ihm sein Team dort überraschend die kalte Schulter zeigte, wurde der Routinier bei den Chefs vorstellig. «Ich habe gesagt, dass ich ein Ziel vor Augen brauche, auf das ich trainieren kann», sagte der 38-Jährige.
So kam die Tour ins Spiel - und plötzlich kamen die Ergebnisse zurück. Mitte Mai siegte Greipel auf Mallorca, es war sein erster Erfolg nach über zwei Jahren. Fünf Tage später folgte ein Etappensieg bei der Andalusien-Rundfahrt.
Damit es für Greipel bei der Tour ähnlich erfolgreich läuft, muss schon sehr, sehr viel zusammenpassen. Elf Etappensiege hat der Routinier auf dem Konto, das Dutzend ist sein Traum. «Träumen kann man immer, träumen kann man bis Paris», sagte Greipel, der die Schlussetappe auf den Champs-Élysées bereits zweimal gewonnen hat und insgesamt 158 Siege als Profi vorweist.
Bei all seiner Erfahrung ist Greipel noch nie an der Seite eines viermaligen Tour-Siegers gefahren. «Man merkt hier natürlich, dass der Status ein anderer ist, als wenn man ohne Chris Froome hier sein würde. Er bringt seine Erfahrung jeden Tag ein», betonte Greipel. Da könne selbst er in seinem Alter noch etwas lernen. Er habe Froome als freundlichen und zurückhaltenden Menschen kennengelernt. «Er hat das Herz am rechten Fleck und weiß, wo er herkommt.»
Deutlich wichtiger ist für Greipel und Froome allerdings, wo es hingeht. Und da führt der Weg erst einmal nach Paris. «Das will jeder, der hier am Start steht. Man weiß natürlich durch all die Jahre, dass das kein Kinderspiel wird», sagte Greipel. Gut möglich, dass sich die beiden Aushängeschilder ihres Teams dann Seite an Seite durch die Berge quälen und sich gegenseitig helfen, nicht aus dem Zeitlimit zu fallen.