Saint Girons (dpa) - Telekom-Manager Walter Godefroot, im 30. Jahr bei der Tour, kann sich nicht an höhere Temperaturen erinnern. Die 90. Tour de France im 100. Jahr ihres Bestehens ist heiß - und das macht den Fahrern nicht nur wegen der höchsten Geschwindigkeit in der Geschichte der «Großen Schleife» zu schaffen.
Zusammen mit der enormen Hitze - beim Zeitfahren im Département Tarn kletterte die Quecksilbersäule knapp unter 40 Grad im Schatten - summieren sich die Stressfaktoren für Körper und Geist, und die Fahrer werden krank. «Das Immunsystem ist geschwächt. Die Magen- und Darm-Probleme, die sonst in der dritten Tourwoche gehäuft auftreten, hatten wir jetzt nach zehn Tagen», sagte Telekom-Teamarzt Lothar Heinrich.
Jan Ullrich, der nach dem Mannschafts-Zeitfahren selbst eine gesundheitliche Krise mit hohem Fieber überwinden und auf der ersten Pyrenäen-Etappe mit Durchfall im Gebüsch verschwinden musste, registrierte beim Blick ins Feld: «Viele Fahrer gehen schon zu Fuß.» Am Ende des 15. Tages waren 35 weniger im Rennen als zum Tour-Start. 2002 betrug die Ausfall-Rate zum Finale in Paris 36.
«Wenn so stabile und gestandene Radprofis wie Jens Voigt schlapp machen, hat das schon etwas zu sagen», erklärte der mit zwölf Tour- Teilnahmen erfahrenste deutsche Profi Udo Bölts, der sich erinnern kann, dass zuletzt 1994 eine solche Hitze herrschte. «Die hohe UV- Bestrahlung bringt die Fahrer zusätzlich zum Schwitzen. Sie müssen viel trinken, der Magen arbeitet ständig, Schleimhaut-Entzündungen sind programmiert. Der ständige Wechsel aus der Hitze in klimatisierte Räume der Mannschafts-Wagen oder Hotels birgt weitere Gefahren», meinte Heinrich, der im eigenen Team im Moment mit Daniele Nardello (Magen) und Rolf Aldag (Bronchitis mit Fieber) alle Hände voll zu tun hat. Bölts: «Ich schätze die Durchschnitts-Temperatur seit dem Start in Paris bisher auf 35 Grad.»
An heißen Tagen und auf schweren Etappen verteilt Telekom manchmal mehr als 200 Trinkflachen mit einem Inhalt von 0,5 Litern an neun Fahrer. «An Tagen mit extremer Anstrengung sind die Fahrer unterversorgt und haben im Ziel zwei bis drei Kilo Körpergewicht verloren. In der ersten Stunde nach dem Rennen können die Reservoirs im Körper am besten aufgefüllt werden», sagte Heinrich. Gleich nach Zieldurchfahrt erhalten die Fahrer laut Heinrich Energie-Drinks, Eiweiß-Mixgetränke mit hohem Glucose-Gehalt. Infusionen seien eher selten. Mehr als etwa 6000 Kalorien können über die Nahrung kaum aufgenommen werden. Der Bedarf nach manchen Etappen ist höher.
«Aber es gibt auch im Essen Talente: Ullrich zum Beispiel, der kann mehr essen als andere», berichtete Heinrich. Was dem Toursieger von 1997 früher im Winter wegen gelegentlicher Gewichts-Explosionen eher zum Nachteil gereichte, machte ihn bei der kraftraubenden Tour stark. Auch ohne Ullrich - die spanische Zeitung «El Mundo» nannte ihn «König der Hamburger» - darf bei dieser Tour bei Telekom wieder Walter Grözinger kochen. Der wurde vor zwei Jahren extra engagiert, um auch am Herd alles zu tun, damit das Gewicht des damaligen Team- Stars kanalisiert wird. Seine gehaltvollen Dinkel-Schnecken sind von den erschöpften Fahren heute im Ziel hoch geschätzt.