Plobsheim (dpa) - Jan Ullrich steht vor dem Scherbenhaufen seiner wechselvollen Karriere, der Profi-Radsport zum Auftakt der Tour de France vor dem bisher größten Dopingskandal seiner Geschichte.
Einen Tag vor der 93. Auflage hat die in Spanien aufgedeckte Affäre die Radsportwelt in ihren Grundfesten erschüttert. Die Frankreich-Rundfahrt beginnt am Samstag ohne ihre in die Affäre verwickelten Topstars Ullrich und Ivan Basso (Italien/Team CSC). Außerdem bekamen Oscar Sevilla und Francisco Mancebo (beide Spanien) sowie die fünf Fahrer vom Team Astana-Würth, Joseba Beloki, Alberto Contador, Isidro Nozal (alle Spanien), Sergio Paulinho (Portugal) und der Australier Allan Davis, die Rote Karte.
Ullrich beteuerte erneut seine Unschuld. «Ich bin in einem absoluten Schockzustand», sagte er im ZDF, «das ist das Schlimmste, was mir bisher in meiner Karriere passiert ist.» Er sehe sich als Opfer und werde versuchen, seine Unschuld mit Hilfe eines Anwalts zu beweisen. «Ich kann nur sagen, dass ich nach wie vor nichts mit der Sache zu tun habe.» Er könne «heulen», weil er jetzt nach Hause fahren müsse und brauche erst ein paar Tage Ruhe, um das alles zu verkraften.
Tour-Sprecher Philippe Sudres sagte: «Für uns ist klar: Astana-Würth kann nicht starten, weil sie nicht die mindestens sechs erforderlichen Starter stellen können.» Die Mannschaft ist die zweite nach der Suspendierung des Teams Valenciana, die mit einer Wildcard eingeladen war. Dadurch konnte sie von den Tour-Organisatoren eigenverantwortlich ausgeschlossen werden. Damit gehen nur 19 statt 21 Teams an den Start. Die Tour-Verantwortlichen scheinen acht Jahre nach dem Festina-Skandal gewillt zu sein, den Doping-Sumpf trocken zu legen.
«Wir haben jetzt die Chance auf eine wirklich andere Tour», sagte ihr Direktor Christian Prudhomme. Ullrich und Sevilla wurden vom eigenen T-Mobile-Team suspendiert, die anderen nach einem Beschluss der Vereinigung aller sportlicher Leiter. Erst danach suspendierte auch CSC-Manager Bjarne Riis den Giro-Gewinner Basso bis auf weiteres. Die nicht zugelassenen Fahrer dürfen nach Prudhommes Worten nicht ersetzt werden, so dass T-Mobile mit sieben Profis antreten muss.
Unsicher war unterdessen auch, ob T-Mobile sein ursprünglich bis 2008 zugesichertes Engagement im Profi-Radsport jetzt überhaupt fortsetzen will. Der staatliche Wettanbieter Oddset stoppte sämtliche Tour-Wetten; die TV-Anstalten ARD/ZDF und Eurosport halten an der vorgesehenen Live-Berichterstattung von der Tour fest.
Für Jan Ullrich, den 32 Jahre alten Tour-de-France-Gewinner von 1997, ist der Traum vom zweiten Triumph bei der größten Radrundfahrt der Welt geplatzt. Die aus den Polizeiakten ersichtlichen Indizien ließen laut T-Mobile-Sprecher Stefan Wagner «keine andere Interpretation zu», als dass Teamchef Rudy Pevenage Kontakt zu dem spanischen Mediziner Eufemiano Fuentes hatte, gegen den die spanische Justiz ermittelt. Die «schwarze Liste» der Guardia Civil hatte die Teamführung in der Nacht zum Freitag erreicht.
Der erste Hammer fiel am Freitag kurz nach halb Zehn im feinen Golfclub von Plobsheim im Elsass: Ullrich, Sevilla und der sportliche Leiter Rudy Pevenage wurden wegen ihrer möglichen Verwicklung in den spanischen Doping-Skandal mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres suspendiert. Der in Dopingverdacht geratene Ullrich hatte sich fest vorgenommen, die Tour im Jahr eins nach Lance Armstrong zum zweiten Mal zu gewinnen. «Wir haben Indizien, dass es sich bei den Fahrern, die auf der Liste stehen, um organisiertes Doping gehandelt hat», sagte Prudhomme. Ullrich und Sevilla nach Hause zu schicken, nannte der nach der Tour ausscheidende Rundfahrt-Chef Jean-Marie Leblanc eine «mutige Entscheidung».
«Als wir heute Morgen ein Fax des Tour-Veranstalters ASO mit den Namen der Fahrer, gegen den die spanische Polizei ermittelt, erhalten hatten, mussten wir reagieren. Die neuen Erkenntnisse reichen aus, dass wir sagen: Es ist unmöglich, mit den drei weiter zu arbeiten. Wir haben jetzt begründete Zweifel an den deren Unschuldsbekundungen, mit der Affäre nichts zu tun zu haben. Selbstverständlich werden Ullrich, Sevilla und Pevenage die Möglichkeit haben, ihre Unschuld zu beweisen», erklärte Christian Frommert, der Kommunikations-Leiter von T-Mobile in Plobsheim, wo die Bonner einen stimmungsvollen Anstimmung auf die kommende Tour geplant hatten.
Eine DNA-Analyse von Ullrich sei laut T-Mobile-Sprecher Luuc Eisenga jetzt eine Möglichkeit, seine Unschuld zu beweisen. Die spanischen Ermittler haben Indizien, dass Ullrich und Sevilla mit roten Blutkörperchen angereichertem Blut manipuliert haben könnten. In der Praxis der Mediziner Fuentes und Merino Batres, gegen die die spanischen Polizei ermittelt, waren Blutbeutel und Unterlagen gefunden worden, die auf Ullrich hinwiesen.
«Ich glaube, Jan wollte nach einem möglichen Toursieg seine Karriere sowieso beenden. Jetzt muss er es eben drei Wochen früher tun», sagte seine ehemaliger Team-Kollege und Eurosport-Kommentator Jens Heppner, der 1997 mithalf, Ullrich zum Toursieger zu machen. Zur selben Zeit fuhr auch Rolf Aldag an Ullrichs Seite. «Das ist jetzt natürlich ganz hart, aber vielleicht auch eine Chance für den Radsport, richtig aufzuräumen. Wenn man fünf Millionen verdient, ist die Neigung vielleicht größer, große Risiken auch für die eigene Gesundheit einzugehen. Ich glaube, das der Radsport jetzt größere Lehren aus dieser Affäre zieht, als er es 1998 nach dem Tour-Skandal tat», sagte Aldag, der für das ZDF kommentiert.
«Natürlich bin ich geschockt, ich bin auch persönlich sehr gut bekannt mit Jan», reagierte der deutsche Verbands-Präsident Rudolf Scharping auf die Nachricht. Einen Rückschlag für den deutschen Radsport erwarte er aber nicht.
Die Bundesregierung hat vor einer Verurteilung Jan Ullrichs gewarnt. «Eine Verurteilung des Sportlers steht nicht an», zumal die Hintergründe nicht bekannt sind, sagte ein Sprecher des für Sport zuständigen Bundesinnenministeriums in Berlin. Man sei im Gespräch mit den Sportverbänden, was den engagierten Kampf gegen das Doping angeht. Es werde zu prüfen sein, wie weit das Umfeld Ullrichs «verstärkt beobachtet» oder gar juristisch vorgegangen werden müsse.