Berlin (dpa) - Von der Anklagebank ins Gelbe Trikot: Davon träumt David Millar, seit in seinem Kopf wieder Platz für Radsport ist. Am 23. Juni ist die zweijährige Doping-Sperre des Schotten abgelaufen und sein Team Saunier Duval hat ihn für die Tour de France nominiert.
Noch droht ihm von den Organisatoren die Rote Karte als «unerwünschte Person». Aber sportrechtlich ist ihm nichts anzuhaben. Der Ethik-Code, der einen vergleichbaren Fall heute kaum noch möglich machte, weil ein zweijähriger Bann für die ProTour auch nach Absitzen der Sperre gelten würde, war 2004 noch nicht in Kraft.
Speziell für den 7,1 Kilometer langen Tour-Prolog am 1. Juli in der Innenstadt Straßburgs hat Millar wie ein Berserker - und nach eigenem Bekunden absolut drogenfrei - trainiert. Nach seinem Sieg 2000 zum Tour-Auftakt in Futuroscope fuhr der schlaksige Schotte drei Tage in Gelb. Dieses Gefühl will er sich wieder holen - wenn ihn Tour-Chef Jean-Marie Leblanc lässt. «Natürlich werde ich ein bisschen nervös sein, wenn ich wieder fahre», sagte Millar, der 2003 in Hamilton/Kanada unter EPO Zeitfahr-Weltmeister wurde. Der Titel war ihm aberkannt und dem Australier Michael Rogers (jetzt T-Mobile) zuerkannt worden.
Im Juni 2004 verhafteten französische Polizisten Millar in einem Restaurant an seinem Wohnort in Biarritz. Direkt vom Abendessen wurde er abgeführt. In seiner Wohnung wurden zwei leere, benutzte Spritzen mit EPO-Rückständen gefunden. Der Delinquent wurde nach eigenen Aussagen «36 Stunden ohne Pause verhört» - und gestand. Zum ersten Mal hatte es nach dem Tour-Skandal 1998 mit dem Zeitfahr-Weltmeister einen Großen der Branche erwischt, der vor drei Jahren das finale Tour-Zeitfahren vor dem später ebenfalls gesperrten Tyler Hamilton, Lance Armstrong und Jan Ullrich gewonnen hatte. Das war Millars letzter Auftritt in Frankreich als Radprofi.
Im ersten Jahr der Sperre habe er sich nicht um Radsport gekümmert: «Ich steckte tief im Schlamassel, hatte Ärger mit der französischen Justiz und den Steuerbehörden», erklärte der in Hongkong aufgewachsene Sohn eines britischen Diplomaten in einem Interview mit dem Fachmagazin «Tour». Bevor Millar wieder von Gelb zu träumen wagte, schlüpfte er ins Büßergewand, verließ Frankreich und zog in die Nähe Manchesters.
Dort wurde ihm nach eigenem Bekunden der neue, faire Sportsgeist eingehaucht: «Ich bin sauber, mache einen neuen Anfang. Ich weiß, wie man Rennen gewinnen kann, ohne etwas zu nehmen. Ich habe eng mit Leuten aus dem britischen Radsport-Verband zusammengearbeitet. Sie standen mir bei in dieser schwierigen Phase. Trainer und Funktionäre überzeugten mich, dass es möglich ist, ohne Doping Leistung zu bringen. Anders als in meinem alten Team Cofidis, wo man nur Ergebnisse wollte, egal, wie sie zu Stande kamen.»
«Ich habe betrogen, ich habe gegen Regeln verstoßen, ich kann nicht einmal genau erklären warum», meinte Millar. «Verrutschte ethische Maßstäbe, Ruhmsucht, keine Moral. Es gab nichts, das mich daran hinderte, ich habe einfach den schnellen Vorteil gesucht», sagte Millar über sein «altes Leben». Sein aktenkundiges Cofidis-Team habe ihm «eine Menge Geld gezahlt, und dafür macht man eine Menge Mist».
Das trifft laut Millar auch auf einige andere Profis zu. «Ich habe alles verloren und wurde hart bestraft. Im Vergleich zu anderen bezahlte ich einen hohen Preis für meine Irrtümer. Mehr Kontrollen außerhalb des Wettkampfs sind der einzige Weg, die Sache zu stoppen. Ich kenne einige Jungs, die Trainingskontrollen umgehen. Der Weltverband UCI müsste monatlich die Namen der Getesteten mit den Ergebnissen der Analysen veröffentlichen», erklärte Millar im vergangenen Jahr in einem Interview der Londoner Times. Aber «never, never» werde Doping auszumerzen sein.