Paris (dpa) - Im Fall Lance Armstrong ist nun der Internationale Radsport-Verbandes (UCI) in der Pflicht. «Unsere Juristen prüfen den Vorgang und die Möglichkeiten, Sanktionen auszusprechen», sagte UCI-Sprecher Enrico Carpani der dpa.
«Ich rechne in ein, zwei Tagen mit einer offiziellen Stellungnahme», stellte Carpani klar. Tour-de-France-Direktor Jean-Marie Leblanc, der wegen der laschen Haltung der UCI schon mehrmals auf Konfrontationskurs gegangen war, verwies auf die höhere Instanz: «Wenn es sportliche Sanktionen durch die UCI geben sollte, könnte sich die Tour-Direktion, in welcher Form auch immer, diesen Maßnahmen anschließen.»
Der Kanadier Dick Pound, Präsident der Welt-Antidoping-Agentur WADA, forderte die UCI und den zuständigen amerikanischen Radsport-Verband, der gerade Olympiasieger Tyler Hamilton zu einer Doping-Sperre verurteilt hatte, zu Aktivitäten auf: «Es wird jetzt sehr interessant sein, zu beobachten, wie die UCI und der nationale Verband reagieren werden.» Seiner Organisation seien weitgehend die Hände gebunden, weil die WADA bei der Tour 1999 noch nicht existiert habe. Die WADA war als Koordinator aller Anstrengungen gegen den Betrug im Hochleistungssport im November desselben Jahres gegründet worden.
«Nach den Erschütterungen des Festina-Skandals von 1998, dem Tod von Marco Pantani und der Cofidis-Affäre ist der Radsport von einem weiteren Erdbeben erschüttert», schrieb die französische Sportzeitung «L'Équipe», die den positiven Doping-Befund des siebenfachen Toursiegers durch das Pariser Anti-Doping-Labor Chatenay-Malabry vier Wochen nach dem Tour-Ende unter der großen Aufmachung «Armstrongs Lüge» veröffentlicht hatte. «Der Mythos Armstrong ist am Ende», schrieb «Le Parisien». Die spanische «Marca» bemerkte: «Nach seinem 7. Toursieg und seiner goldenen Pensionierung glaubte Armstrong, vor Kritikern sicher zu sein. Er hat sich geirrt.»
Das vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) anerkannte Pariser Institut, in dem während der Tour alle Analysen vorgenommen werden, habe 2004 in sechs Urinproben Armstrongs von 1999 Spuren des Blutdopingmittels Erythropoietin (EPO) nachgewiesen, hieß es im Blatt. Der 33-jährige Amerikaner hatte sich bereits am Tag vor der Veröffentlichung auf seiner Homepage zu Wort gemeldet und den Bericht als Fortsetzung einer «Hexenjagd» bezeichnet.
Armstrong ist im juristischen Kampf gegen Doping-Anschuldigungen geübt. Seine Rechtsanwälte gingen gegen seine ehemalige Betreuerin Emma O'Reilly vor, die in dem Buch «L. A. Confidential» Armstrong des Dopings bezichtigte. Sein ehemaliger Betreuer Mike Anderson hatte 2004 vor Gericht behauptet, in Armstrongs Badezimmer «verbotene Medikamente» gefunden zu haben. Außerdem ist ein Rechtsstreit zwischen Armstrong und dem Profi Filippo Simeoni anhängig, nachdem der Rekordsieger den Italiener im Zusammenhang mit dem Doping-Prozess gegen den ehemaligen Armstrong-Arzt Michele Ferrari als «Lügner» bezeichnet hatte.
Der bei der Deutschland-Tour als Jury-Präsident fungierende UCI-Funktionär Martin Bruin hält juristische Schritte gegen Armstrong für unwahrscheinlich. «Ich rechne nicht mit rechtlichen Konsequenzen», hatte der Niederländer in Bonn erklärt. «Die A-Probe, die damals genommen wurde, war unter Berücksichtigung der damaligen Nachweis-Methoden negativ, die jetzt nachuntersuchte B-Probe positiv.» Ohne gültige Gegenprobe seien juristische Schritte gegen einen Sportler nicht möglich, erklärte Bruin.
1999 war die Methode, EPO im Urin nachzuweisen, noch nicht entwickelt. Das seit 1988 gentechnisch hergestellte und vor allem bei Ausdauer-Leistern eingesetzte Mittel erhöht die Zahl der roten Blutkörperchen, so dass das Blut mehr Sauerstoff aufnimmt. EPO steht seit 1990 auf der IOC-Liste der verbotenen Substanzen. Kontrollen wurden aber erst bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney und der Tour de France im folgenden Jahr eingeführt.
Ungeklärt sind bisher wichtige Fragen am Rande: Warum veröffentlichte die «L'Equipe» die Untersuchungsergebnisse erst jetzt, gut vier Wochen nach dem diesjährigen Tour-Ende? Das Blatt ist Mitveranstalter des größten Radsport-Ereignisses, bei dem Armstrong am 24. Juli zum siebten Male triumphiert hatte. Wie konnte die juristisch umstrittene Zusammenführung des Codes mit dem Namen Armstrong geschehen? Dem Labor lag nur der Code vor, die Zuordnung zu Armstrong war nur über den französischen Verband möglich. Weitere durch Nachuntersuchungen ermittelte Dopingfälle der Tour 1999 bleiben bisher unveröffentlicht.
Unabhängig davon rühmte Tour-Direktor Leblanc in einem Interview mit «L'Equipe» das Blatt für seine Aufklärungsbemühungen. «Zum ersten Mal hat mir jemand gezeigt, dass Armstrong 1999 eine verbotene Substanz namens EPO in seinem Körper hatte», sagte Leblanc. Bisher habe es lediglich «Gerüchte und Vermutungen» gegeben. «L'Equipe» habe nun mit seiner Veröffentlichung belegt, «dass ich getäuscht worden bin. Wir alle sind getäuscht worden».