Berlin (dpa) - Ex-Radprofi Bert Dietz hat mit seiner mutigen Doping-Beichte eine Lawine losgetreten. Christian Henn, Teamchef bei Gerolsteiner, bestätigte die Ausführungen seines ehemaligen Team- Kollegen und war ebenfalls geständig.
Die Uni-Klinik Freiburg reagierte auf die neuesten Anschuldigungen von Dietz und beendete vorerst die Zusammenarbeit mit dem Telekom-Nachfolgeteam T-Mobile. Zudem wurden die im Mittelpunkt der Doping-Vorwürfe stehenden Ärzte Lothar Heinrich und Andreas Schmid von ihrem Dienst in der Klinik freigestellt. Anfang des Monats waren beide Mediziner nach den Anschuldigungen des ehemaligen Telekom-Betreuers Jef d'Hont bereits von T-Mobile suspendiert worden.
Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), forderte Athleten «auch aus anderen Sportarten» auf, dem Dietz-Beispiel zu folgen und reinen Tisch zu machen. Endlich habe ein Sportler «den Bann des Schweigens» gebrochen. In nächster Zeit soll es ein Gespräch zwischen DOSB und Dietz geben. Der Ex-Radprofi, von 1994 bis 1998 bei Telekom, hatte in der ARD-Sendung «Beckmann» Doping-Missbrauch zugegeben und neue konkrete Vorwürfe gegen die Freiburger Ärzte Heinrich und Schmid erhoben.
Zum Ende der Saison werde Freiburg nicht mehr zuständig sein für die sportmedizinische Betreuung, bestätigte T-Mobile- Kommunikationschef Christian Frommert. Offensichtlich trat Freiburg von sich aus vorher auf die Bremse und zog ihre drei noch für das Team tätigen Ärzte zurück. Die Maßnahme zwingt die Bonner zur hektischen Suche nach einer Alternative zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung der Fahrer. Der Rennstall hat nur noch drei niedergelassene Mediziner. Sie sind nicht Angestellte der Uni-Klinik Freiburg.
Die ehemaligen Dietz-Kollegen bei Telekom, Jan Ullrich, Udo Bölts, Rolf Aldag und Jens Heppner schweigen noch - Henn redete nun. «Ich kann nur sagen, dass ich EPO benutzt habe, und dass das, was Bert Dietz gesagt hat, zum größten Teil der Wahrheit entspricht», sagte der 1999 wegen Testosteron-Dopings zurückgetretene Ex-Profi der «Frankfurter Rundschau» und dem «Kölner Stadt-Anzeiger». Henn: «Die Zeit war so. Es ging nur hopp oder top». Im Nachrichtensender N24 bekräftigte Frommert, dass ein Ausstieg der Telekom aus dem Radsport- Sponsoring aber nicht in Frage komme. Schon vor einigen Monaten hatte sich der Konzern bis 2010 als Sponsor beim Team fest verpflichtet.
Aldag muss sich womöglich auf harte Zeiten einstellen. «Wir sind gerade bei einer Klärung. Es wird von uns im Laufe der Woche - nicht mehr heute - eine klare Geradeaus-Reaktion geben», sagte Teamsprecher Stefan Wagner. Aldag, der zuletzt geleugnet hatte, von der offensichtlich Flächen deckenden Doping-Praxis in den 90er Jahren etwas mitbekommen zu haben, war für den Neuanfang nach dem Ullrich- Eklat zum Teamchef der «neuen» T-Mobile-Mannschaft gemacht worden. Heinrich, dem Dietz wie zuvor der Ex-Betreuer Jef d'Hont aktives Doping vorwarf, wurde an die Spitze der neuen, strengen Anti-Doping- Bewegung im Bonner Team gestellt.
Anders als am 26. Februar ein stammelnder und sich in Widersprüche verwickelnder Ullrich waren die Aussagen des 38-jährigen Dietz von anderem Kaliber. Er nahm kein Blatt vor den Mund: Wenn sie vor Ort waren, hätten die Ärzte EPO, für ihn seit 1995 fast eine Selbstverständlichkeit wie Massage und Training, «selbst gespritzt». Die EPO-Dosen seien zum Teil direkt von der Freiburger Klinik per Post bei Dietz eingetroffen. Heinrich und Schmid hätten den EPO- Gebrauch «angeboten, aber in so einer Form, dass jeder wusste: wenn ich es jetzt nicht nehme, habe ich wahrscheinlich am Jahresende so schlechte Ergebnisse, dass mein Vertrag nicht verlängert wird».
Mit Fingern auf andere Fahrer zeigen - das wolle er nicht. Aber bei seinen Schilderungen ist schwer vorstellbar, dass der «kleine Profi» Dietz der einzige EPO-Nutzer im Team gewesen sein soll. Der jetzige Fahrrad-Händler aus Leipzig, der sich nie für das Bonner Tour-Team qualifizieren konnte, berichtete, dass er seine Drogen- Kuren selbst bezahlen musste: «1995 so um die 5000 Mark.» Der damalige Manager Walter Godefroot, jetzt Berater des neuen kasachisch-schweizerischen Astana-Teams mit Andreas Klöden und Alexander Winokurow an der Spitze, hätte den Geldfluss für die Doping-Präparate geregelt.
Im Trainingslager 1995 auf Mallorca hätten Heinrich und Schmid zum ersten Mal über das Thema EPO geredet. Im Folgejahr war beim Team Telekom eine Leistungs-Explosion, die in dem Toursieg des Dänen Bjarne Riis gipfelte, zu verzeichnen. 1997 gewann Ullrich, gegen den inzwischen zwei Staatsanwaltschaften ermitteln, als erster Deutscher das schwerste Radrennen der Welt.
Dietz, der für seinen TV-Auftritt auch Lob des ebenfalls Doping- verdächtigten Ex-Telekom-Profis Jörg Jaksche erhielt, verdeutlichte die Zwickmühle, in der sich die Profis drehten: Der Sponsor fordere Erfolg. Ohne Erfolg könne die Zukunft des Teams auf dem Spiel stehen oder der persönliche Vertrag disponibel werden. Der Existenz-Druck besonders als Familienvater sei enorm gewesen, sagte Dietz, der sich als erster namhafter deutscher Profi zu seiner Doping-Vergangenheit umfänglich bekannte. «Er hat klar gemacht, dass wir das schwächste Glied in einer Kette sind. Fahrer werden gekündigt oder suspendiert, während andere sich weiterhin den Hintern im Begleitwagen platt sitzen dürfen», sagte der Ansbacher Jaksche.
«Wer noch im System ist, kann sich nicht outen, ohne direkt seinen Job zu riskieren», sagte Dietz und nannte damit den Hauptgrund für das eiserne Radsport-Gesetz des Schweigens und Wegschauens. Dietz fordert für den dringend erforderlichen Neuanfang eine Amnestie, mit kompletter Aufarbeitung der Vergangenheit ohne Strafe-Androhung. Der DOSB lehnt die Forderung ab. DOSB-Präsident Bach: «Wir können nicht eine Art Freibrief ausstellen und sagen: Wer sich outet, ist außen vor.»