Paris (dpa) - Das gab es noch nie: Der «Big Boss» der Tour de France, Patrice Clerc, wünscht den Top-Favoriten des weltgrößten Radrennens schlicht zum Teufel.
«Ich bedauere die Anwesenheit von Michael Rasmussen», sagt der Chef des Veranstalters ASO der Zeitung «Le Figaro». Dabei ist der Däne der Überraschungsstar der Tour. Viele Zuschauer begeistern sich für den Träger des Gelben Trikots, und seine Leistungen machen Schlagzeilen. «Kann Michael Rasmussen noch einbrechen?» fragt das Boulevardblatt «Le Parisien», als sei der Dopingverdacht reine Polemik. «Der Fatalismus erfasst seine Widersacher.»
Die linke «Libération» flüchtet sich in Ironie und nannte den Dänen «ein Wunderkind, an dem selbst der Vatikan seine Freude hätte». Zu Rasmussens Pyrenäenritten schrieb das Blatt: «ARD und ZDF ziehen zu Unrecht Derrick der Tour de France vor. Hier passieren spannende Dinge, Wunder! Man sieht, dass man sich Lourdes nähert: Das ist die Tour der Erneuerung.»
Die ARD, die nach dem Doping-Fall Patrik Sinkewitz mit dem ZDF die Live-Rechte zurückgegeben hatte, nahm in Pau die Tour-Berichterstattung in Form einer werktäglichen Magazin-Sendung wieder auf. Bis einschließlich zum 27. Juli strahlt das Erste im Vorabendprogramm eine Zusammenfassung aus. «In der 25-minütigen Sendung wollen wir neben der Aktualität auch die generelle Doping-Problematik wie seit dem ersten Tour-Tag weiter behandeln», erklärte ARD-Teamchef Roman Bonnaire.
Bei Sat.1 kommt die Berichterstattung nicht richtig in Schwung. Durchschnittlich 680 000 Radsportfans (Marktanteil 5,7 Prozent) haben die Live-Übertragung der 15. Etappe gesehen. Damit wurde erneut die Millionen-Marke bei den Zuschauern verpasst. Seine bisher beste Reichweite hatte der Privatsender bei der ersten Pyrenäen-Etappe mit 820 000 Zuschauern erreicht.
Der Fall Rasmussen zeigt die ganze Dramatik und den Zwiespalt, in dem die Tour de France steckt. Der Däne ist das Wunderkind der Saison - aber wegen Dopingverdachts von der Weltmeisterschaft in Stuttgart ausgeschlossen. Er ist noch nicht endgültig überführt, präsentiert sich aber mit verbissenem Schweigen wie ein Schuldiger. Die Folge: Um ihr Image besorgte Sponsoren wandern ab und die Fans trauen dem Sieger nicht - bleiben aber begeistert dabei. Viele denken bei der Tour wie Rasmussen, der sagt: «Wenn ich anfange, mich mit etwas anderem zu beschäftigen als mit dem Radsport, werde ich verrückt.»
Die Lage ist paradox: Vier von fünf Franzosen glauben nicht an einen ehrlichen Sieger, aber 52 Prozent erklären dennoch, sie liebten die Tour de France. Wenn die große Karawane vorbeizieht, drängen sich wie jedes Jahr 14 Millionen Menschen am Straßenrand. Sechs bis acht Stunden stehen die Fans in der Regel an, um erst die Sponsorautos und dann die Profi-Radler zu bestaunen.
So zwiespältig wie ihre Leser reagieren die französischen Medien auf die Doping-Tour. Im Politik- oder Wirtschaftsteil wird über Profite und Vertrauenskrisen geschrieben und zynisch vorgeschlagen, man sollte die Pharmakonzerne gegeneinander antreten lassen. Auf den Sportseiten bejubeln die Blätter gleichzeitig die forschen jungen Fahrer und ihre neuen Höchstleistungen.
Die Tour de France ist ein Riesengeschäft. Der Umsatz liegt bei 130 Millionen Euro und der Gewinn bei 15 Millionen. Das Rennen wird von 85 TV-Sendern weltweit übertragen und ist damit eine riesige Werbefläche für Sponsoren und Partner. Rund 30 Sponsoren von adidas bis Orange finanzieren mit 158 Millionen Euro die Mannschaften. Audi stellt den Organisatoren kostenlos Autos zur Verfügung. Die Teams haben Budgets zwischen 3,5 Millionen Euro (Barloworld) und 15 Millionen Euro (T-Mobile) zur Verfügung.
Zwiespalt aber auch unter den Sponsoren. Manche wie adidas, Discovery Channel und Crédit Agricole werfen das Handtuch, weil sie um ihr Markenimage fürchten. Andere halten es mit Nestlé Waters: «Solange die Menschen so zahlreich an den Straßen und vor dem Fernseher sind, werden wir dabei sein.» Doch die Abwanderungswelle schwillt an.
Clerc wittert dahinter eine Verschwörung des internationalen Radsport-Verbandes Union Cycliste Internationale (UCI). Wenn Doping während des Rennens aufgedeckt werde, zeige das die Effizienz des Kontrollsystems. Der Verdacht gegen Rasmussen sei aber nicht bei der Tour aufgekommen, sondern nur von der UCI publik gemacht worden. «Es handelt sich um den Versuch einer Destabilisierung», sagt Clerc. Und er schiebt eine Warnung «an alle» nach, «die aus persönlichen, privaten, wirtschaftlichen» Gründen die Tour schädigen wollten. «Sie unterschätzen die Macht des Ereignisses. Selbst wenn das etwas großspurig klingt: Frankreich wird es nicht zulassen, dass mehr oder weniger zweifelhafte Interessen der Tour schaden.»