Megève (dpa) - Vor der 19. Etappe der Tour de France stellte sich eigentlich nur noch die Frage nach Chris Froomes Begleitung links und rechts auf dem Podest in Paris. Am dritten Gesamtsieg des britischen Rad-Profis gibt es auch nach einem turbulenten Freitag nichts zu zweifeln.
Aber als hätte Froome es geahnt: Der Brite stürzte, nachdem er nach seinem souveränen Auftritt beim Bergzeitfahren am Donnerstag noch meinte, das Wichtigste sei, sicher ins Ziel zu kommen.
FROOME, DER KÄMPFER: Mit einem teilweise zerfetzten Trikot und blutigen Schürfwunden schleppt sich Froome ins Ziel in Saint-Gervais Mont Blanc. Er stürzt bei einer Abfahrt, rutscht auf einer weißen Linie weg. Muss das Rad eines Teamkollegen nehmen. Damit kommt Froome zunächst nicht zurecht. Die Konkurrenten wittern ihre Chance. Froome aber kämpft sich wieder zurück, verliert nur unwesentlich Zeit.
FROOME, DER ABFAHRER
Es passiert in den Pyrenäen. Alle machen sich auf eine Froome-Attacke hoch nach Andorra gefasst. Aber was macht Froome? Mit 90 Sachen rast er am Vortag die Abfahrt vom 1569 Meter hohen Peyresourde hinunter. Weit über den Lenker gebeugt, auf dem Mittelrohr seines Rades sitzend. Und dabei tritt er noch. Der Lohn für den waghalsigen Ritt bergab: Etappensieg in Bagnères-de-Luchon und das Gelbe Trikot. «Ich habe zum ersten Mal in meiner Karriere versucht, bergab zu attackieren. Es hat geklappt», stellt Froome fest. «Niemand hat das sicher erwartet. Das war eine Überraschung», meint Froomes Teamchef Dave Brailsford.
FROOME, DER SPRINTER
Wieder hat Froome das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Etwa zwölf Kilometer vor dem Ziel in Montpellier tritt der Brite mit an. Er reißt das Feld auseinander, verhindert den eigentlich erwarteten Massenspurt auf der elften Etappe. Den Sieg überlässt Froome Sprint-Experte Peter Sagan. Die Verfolger aber distanziert er weiter. «Das war heute war eine schöne Überraschung für mich, und es war schon super, ein bisschen Zeit rauszuholen», sagt er.
FROOME, DER FUSSGÄNGER
Die schmalen Schultern hängen kurzzeitig, Entsetzen und Verzweiflung stehen Froome ins Gesicht geschrieben. Auf dem Weg hoch auf den legendären Mont Ventoux, auf dem das Ziel wegen zu heftigen Windes nach unten verlegt worden war, erlebt der Brite die vermutlich kuriosesten Minuten seiner Karriere: Auffahrunfall, weil ein TV-Motorrad inmitten der Menschenmassen nicht mehr weiterkommt. Rad kaputt. Froome läuft. Bergauf. Froome bekommt vom neutralen Begleitfahrzeug ein neues Rad, das aber ist viel zu klein. Froome büßt Sekunde um Sekunde ein. Über eine Stunde nach dem dramatischen Finale darf er sich aber wieder das Gelbe Trikot überziehen. Die Jury rechnet ihm die Zeit nicht drauf, die er durch den unverschuldeten Unfall auf den letzten zwei Kilometern verloren hatte. «Der Mont Ventoux ist voller Überraschungen», sagt Froome.
FROOME, DER KONTROLLEUR
Er ist der Kapitän einer für die Konkurrenz übermächtigen Mannschaft. Die zaghaften Attacken der Widersacher kontert Froomes Sky-Team in ebenso beängstigender wie seltener Art. Froome kann sich mitziehen lassen. «Da ist im Moment nicht viel gegen zu unternehmen», sagt Eusebio Unzue einmal, Teamchef von Nairo Quintana, der vor der Tour als härtester Rivale gehandelt wurde. Es wirkt fast, als spiele Froome mit der Konkurrenz. «Ich fühle mich in der dritten Woche besser als im Vorjahr», sagt Froome. Er hat alles im Griff.
FROOME, DER KOMPLETTE
Er siegt im Flachen bei normalen Etappen, er siegt beim Zeitfahren am Berg. Er hat sich beim Spurt verbessert, an seinem Abfahrtsstil gearbeitet und aus einer Schwäche zumindest bei dieser Tour eine weitere Stärke gemacht. «Er ist im Moment der Beste», sagt die belgische Radsport-Legende Eddy Merckx über Froome.